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Karriere in der Wissenschaft – Wie wird man eine gute Führungskraft?

Dr. Boris Schmidt, 51, arbeitet als Coach, Berater, Trainer und Psychotherapeut in den Bereichen Wissenschaft, Gesundheit, öffentlicher Dienst und non-profit. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem im Coaching von Führungskräften in der Wissenschaft und im Umgang mit Rückschlägen, Hindernissen und Missgeschicken. Im Interview mit hochschul-job.de verrät er, welche Sorgen Führungskräfte in der Wissenschaft haben, wie man mit Konflikten am Arbeitsplatz umgehen kann, wie man das geeignete Coaching-Angebot findet und was Promovierenden bei einer Schreibblockade helfen kann.

Können Sie einmal kurz Ihren Werdegang skizzieren?

Schmidt: Ich habe zuerst Wirtschaftswissenschaften studiert. Aber immer wenn es spannend wurde, hieß es, dies sei ein Schwerpunkt der Psycholog:innen und man solle Psychologie studieren, wenn man an diesen Themen interessiert sei. Dieser Empfehlung bin ich gefolgt. Die Verbindung zwischen den Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie hat mich seither nicht losgelassen. Bereits während des Psychologie-Studiums habe ich Weiterbildungen zur systemischen Beratung absolviert und um die Jahrtausendwende herum kam es zu den ersten Coaching Einsätzen. Parallel habe ich selbst an Hochschulen gearbeitet und dort Erfahrungen in Forschungsprojekten und als Führungskraft gesammelt. Zuletzt habe ich mich entschieden den Psychotherapeuten drauf zu setzen, sodass ich insgesamt über ein sehr breites Repertoire an Methoden im Bereich Coaching verfüge.

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Karrierecoach Dr. Schmidt – Foto: Privat

Wie kam es dazu, dass Sie Ihren Coaching-Schwerpunkt im wissenschaftlichen Bereich gesetzt haben?

Schmidt: Das lag daran, dass ich an verschiedenen Entwicklungsprojekten an Hochschulen beteiligt war und zu diesen Themen geforscht habe. Ich habe unmittelbar gesehen, welcher Bedarf da ist und was die Beschäftigten an Unterstützung brauchen. Ich habe auch festgestellt, dass es mir nicht liegt jemanden zu coachen, der in einem Unternehmen arbeitet, das primär darauf ausgerichtet ist, Profit zu erwirtschaften. Das sind andere Logiken und Werte, die mir nicht gefallen. Der öffentliche Dienst, Verwaltung, Wissenschaft, Hochschulen – das liegt mir, obwohl – aber vielleicht gerade auch weil – es dort manchmal abstrus zu geht, mehr.

Karriere in der Wissenschaft – Was ist eigentlich gute Führung?

Was brauchen Führungskräfte in der Wissenschaft? Was erleben Sie an dieser Stelle in Ihrer beruflichen Praxis?

Schmidt: Es ist unklar, was eigentlich gute Führung in der Wissenschaft bedeutet, deswegen stochern viele Menschen, die in eine Führungsposition kommen, erst einmal ein bisschen im Nebel herum. Die Leute haben gute Intentionen und wüssten eigentlich was richtig ist, aber es gibt nicht so viele Vorbilder, die zeigen, was gute Führung ist. An dieser Stelle sind eine Begleitung, eine Unterstützung und eine Entwicklung des Potentials hilfreich.

Wie sieht diese Unterstützung aus, wenn eigentlich nicht klar ist, was gute Führung überhaupt ausmacht?

Schmidt: Im Coaching ist die Unterstützung immer an konkreten Situationen orientiert. Die Leute kommen selten mit der Frage ‚Wie führe ich generell?‘, sondern es gibt ein konkretes Problem. Das können beispielsweise widersprüchliche Ziele, Unzufriedenheit mit Mitarbeiter:innen, Skrupel vor der Aussprache eines negativen Feedbacks oder eine Neuausrichtung des Arbeitsbereichs sein. Da sind wir schon bei werteorientierter Führung. Es geht dann darum, sich die Situation ganz genau anzuschauen und daraus das Problem zu extrahieren. Aus dieser konkreten Problemlage heraus lässt sich ein konkretes Ziel formulieren. Wir überlegen dann gemeinsam, wie man aus der aktuellen Problemsituation zum Zielzustand kommen kann. Typischerweise ist zwischen zwei Coachings ein Zeitabstand von drei bis sechs Wochen. In dieser Zeit kann die Führungskraft das entwickelte Vorgehen testen und stellt fest, ob es klappt oder, ob wir nochmals nacharbeiten müssen. Insgesamt entwickelt sich durch diese einzelnen, kleinen Beispiele, an denen wir im Coaching arbeiten, das große Ganze. Die Führungskraft entdeckt dann beispielsweise Werte, die ihr oder ihm wichtig sind, wie Respekt oder Effizienz, und daraus lässt sich am Ende ein Führungsselbstverständnis formen.

Nehmen Sie im Coaching von Führungskräften in der Wissenschaft einen Unterschied zwischen den Geschlechtern und den Fachbereichen wahr?

Schmidt: Ich habe einige Jahre zu Führung an Hochschulen und zu Personalentwicklung geforscht. Meine Erfahrung und auch die Ergebnisse aus den Studien deuten darauf hin, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sehr viel geringer sind als die Unterschiede zwischen Person A und Person B. Zwei Damen unterscheiden sich wahrscheinlich mehr voneinander als eine ‚durchschnittliche‘ Dame und ein ‚durchschnittlicher‘ Herr. Die Unterschiede zwischen Fachbereichen sind demgegenüber sehr viel größer als die zwischen Individuum A und Individuum B. Das liegt in den unterschiedlichen Fachkulturen und den jeweiligen Zu- und Umständen begründet. In einigen Fachkulturen ist der Doktortitel völlig selbstverständlich. In einigen Fachkulturen ist es völlig selbstverständlich, dass ich eine Stelle, wahrscheinlich sogar eine ganze Stelle, habe, um meine Promotion oder Habilitation anzufertigen. In einigen Kulturen ist es hingegen typisch, dass ich mich mit einem Stipendium durchhangle und parallel zur Forschung einen Lehrauftrag erfüllen muss. Oder zwei, oder drei… Die Prekaritäten sind sehr unterschiedlich verteilt, was sich dann auf die Situation der Personen auswirkt und die Stimmung in den einzelnen Fächern beeinflusst.

Karriere in der Wissenschaft – Unsicherheit, work-life-balance und Konflikte sind die größten Baustellen

Was erleben Sie im Kontakt mit jung berufenen Professor:innen oder Post-Docs an Ängsten und Sorgen, die sich aus dem ambitionierten System der deutschen Wissenschaft ergeben?

Schmidt: Eine ganz wichtige Baustelle ist die Unsicherheit. Die Chance auf eine dauerhafte Karriere in der Wissenschaft liegt zwischen zehn Prozent und einem Drittel, also eher geringer als hochwahrscheinlich. Ein weiteres Thema ist die work-life-balance. Wie schaffe ich es, mich nicht völlig zu verausgaben und die vielen Herausforderungen auf Dauer durchzuhalten? Um dauerhaft erfolgreich zu sein, braucht man einen Ausgleich. Und Konflikte, Konflikte, Konflikte. Es ist ein hochkompetitives System und es ergibt sich ein sonderbares Spannungsfeld zwischen Kooperationen und Netzwerken einerseits und Konkurrenzkampf um Stellenangebote, Professuren, Fördermittel und die Reputation andererseits.

Wie geht man mit Konflikten am Arbeitsplatz um? Welche Strategien gibt es, die gewinnbringend sein können?

Schmidt: Das sind die klassischen Methoden, die es in der Konfliktforschung und im Konfliktmanagement gibt. Man muss sich erst einmal anschauen, wie es zu dem Konflikt gekommen ist und was die verschiedenen Parteien wollen. Ich gehe davon aus, dass egal welcher Konflikt besteht, die Menschen das nicht aus Absicht produziert haben. Typischerweise entwickelt sich die Mehrheit der Konflikte aus guten, nachvollziehbaren Interessen der Beteiligten, zwischen denen zum Zeitpunkt des Konflikts noch kein Ausgleich gefunden werden konnte. Deswegen muss man schauen, was wollen die Beteiligten, was brauchen sie und was für Absichten stecken hinter den Interessen. Wenn man auf der Ebene der Werte und Interessenlagen ist, lässt sich sehr viel leichter eine Lösung erzielen, als wenn Positionen aufeinanderprallen.

Dr. Boris Schmidt: „Man kann Scheitern konstruktiv nutzen“

Sie schreiben gerade an einem Buch mit dem Titel „gekonnt scheitern“. Wie geht gekonnt scheitern?

Schmidt: Die Wahrscheinlichkeit in der Hochschule dauerhaft eine tolle Stelle zu bekommen ist gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Forschungsprojekt genau das rauskommt, was ich mir gewünscht habe, ist gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Publikation gleich im ersten Anlauf durchgeht, ist gering. Ständig holt man sich in diesem System eine blutige Nase. Dieses Scheitern oder diese Missgeschicke und Widerstände sind kein peinliches Versagen des Individuums, sondern das gehört gerade im wissenschaftlichen und öffentlichen Bereich zum System dazu. Gekonnt scheitern heißt, das nicht als persönliches Versagen zu werten, sondern zu sehen, wenn ich nach links und rechts schaue, alle scheitern. Wichtig ist, aus den Erfahrungen zu lernen und zu verstehen, was man beim nächsten Mal anders machen sollte. Wenn ich scheitere, entsteht auch Ärger. Wie gehe ich mit meinem Ärger und meiner Wut um? Fresse ich das in mich rein – schlechte Idee. Aber was kann ich stattdessen tun? Wie kann ich einen Ausgleich schaffen, wo ich den Ärger rauslassen kann? Das Scheitern lässt sich konstruktiv nutzen.

Was macht für Sie persönlich ein gutes Coaching aus?

Schmidt: Da gibt es so vieles. Erstens: Es sind nicht unendlich viele Sitzungen. Zweitens: Es entsteht eine Hilfe zur Selbsthilfe. Das heißt, der/die Coachee nimmt etwas aus dem Gespräch mit, was er oder sie später auf weitere, andere Situationen übertragen kann. Drittens: Das Interesse wird definiert von der beratenen Person und nicht von der beratenden Person oder von außenstehenden Dritten. Viertens: Rahmenbedingungen, wie Vertraulichkeit, Neutralität der Beraterin oder des Beraters und Ergebnisoffenheit müssen gegeben sein. Fünftens: Bezug zur beratenen Person hinsichtlich der Methodenwahl. Zudem sollten Veränderungen anhand von klar formulierten Zielen nachvollziehbar gemacht werden. Idealerweise merken auch andere, zum Beispiel die geführten Personen, dass sich eine Veränderung ergeben hat.

Wie sind die ersten Schritte, wenn man sich für ein Coaching entscheidet?

Schmidt: Erst einmal sollte man sich darüber informieren, was der Begriff Coaching überhaupt bedeutet. Ich meine hier vor allem eine Abgrenzung zur Beratung. Es passiert manchmal, dass sich Menschen bei mir melden und unter dem Begriff Coaching eigentlich lieber eine Beratung hätten, in der sie wissen wollen, was sie tun sollen. Diese Frage wird im Coaching zwar auch adressiert, aber es ist nicht der Coach, der sie beantwortet, sondern der Coach begleitet den/die Coachee in solcher Weise, dass er oder sie sich die Antwort dann selbst geben kann. Das ist jedenfalls mein Grundverständnis. Es gibt im Internet verschiedene Ratgeber, um das passende Coaching zu finden. Für die Unterscheidung zwischen seriösen und unseriösen Coaching-Angeboten gelten grundsätzliche Kriterien. Dazu gehören transparente Bedingungen zum Preis oder der Anzahl der Sitzungen. Typischerweise macht man ein kurzes Eingrenzungsgespräch über das Anliegen und um herauszufinden, ob Coach und Coachee harmonieren. Das kann gleich der/die erste Coach sein, muss aber nicht. Wenn man das Gefühl hat, es passt, dann kann man loslegen.

Kommt es öfter vor, dass es zwischen dem/der Coach und den Coachees oder hinsichtlich der Methoden nicht harmoniert?

Schmidt: Na klar, kommt das vor und das ist auch Aufgabe eines seriösen Coaches oder einer seriösen Coach gegebenenfalls zu sagen ‚es tut mir leid, aber es ist keine gute Idee, wenn wir zusammenarbeiten‘. Es kann sein, dass das Anliegen gar nicht durch ein Coaching, das auf arbeitsbezogene umgrenzte Themen, die innerhalb sehr begrenzter Zeit lösbar scheinen, beschränkt ist, adressiert werden kann und stattdessen eine Rechtsberatung oder vielleicht sogar eine Psychotherapie die passendere Wahl darstellen. Einen solchen Auftrag nicht anzunehmen, ist nicht nur legitim, sondern zeichnet auch die Professionalität der Coaches aus. Umgekehrt natürlich genauso: Wenn man nach dem Erstgespräch das Gefühl hat, der/die Coach adressiert gar nicht mein Anliegen oder die Person kommt mir spooky vor, dann sollte man Abstand davon nehmen.

Coaching in der Promotionszeit – Selbstzweifel loswerden und Selbstorganisation verbessern

Gehört auch das Coaching von Doktorand:innen zu Ihrem Portfolio?

Schmidt: Ja, klar! ‚Oh Gott, wie schreibe ich meine Dissertation zu Ende?‘ oder ‚Es ist so hart für mich, mich dranzusetzen. Immer wenn ich etwas schreibe, denke ich, das ist doch alles so unbedeutend‘ oder ‚Eigentlich bräuchte ich mindestens zwei Tage die Woche Zeit, um mich der Forschung widmen zu können, aber ich habe einen Lehrauftrag und mein Professor oder meine Professorin erwartet, dass ich das und das tue‘ – Solche Gemengelagen sind gerade in der Promotionsphase alles andere als selten. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit ein Coaching finanziert zu bekommen bei höherer Karrierestufe größer. Es gibt Hochschulen, die ihren Promovierenden explizite Coaching-Angebote machen, aber das ist eher die Ausnahme als der Regelfall. Die Alternative ist die Kosten selbst zu tragen, aber wenn man sich nun überlegt eine Stipendiatin oder eine W2-Professorin muss 150 EUR pro Stunde bezahlen – Wem fällt das wohl leichter?

Gibt es ein Patentrezept gegen Schreibblockaden oder Prokrastination?

Schmidt: Einige Muster sind ähnlich. Meist spielen Selbstzweifel und eine ungünstige Selbstorganisation eine Rolle aber ein Patentrezept gibt es nicht. Wichtig ist, diese Blockade ernst zu nehmen und nicht auf sich selbst zu schimpfen. Wenn ich merke, ich kann gerade nicht schreiben und es kommt das Stimmchen im Kopf und sagt ‚Du bist so dumm, nicht einmal das kriegst Du hin‘, dann wird die Situation nur noch schlimmer. Diese Sätze müssen weg! Es liegt nicht an Dummheit, sonst würde man nicht an einer Dissertation oder an einem wichtigen Artikel schreiben und es liegt auch nicht an Unfähigkeit, sondern es gibt Gründe, warum das jetzt gerade so schwer ist. Alles andere ist dann individuell. Die Frage ist, was geschieht in solchen Momenten in den Betroffenen. Es kann sein, dass man durch innere Bilder, beispielsweise den Cousin Gustav, der einem schon damals im Sandkasten das Leben schwer gemacht hat, blockiert ist. Dann muss man dieses Bild loswerden und motivierende Gedanken finden, wie zum Beispiel an die nette Nachbarin Gundula, die einen schon immer bestärkt hat. Andere brauchen hingegen einen schlichten Zeitplan, um sich ein Zeitfenster zum Schreiben in den Kalender schreiben zu können.

Wie erinnern Sie sich da an Ihre eigene Promotionszeit? Hatten Sie ebenfalls mit solchen Hürden zu kämpfen?

Schmidt: Ja, in meinem Fall war es, dass ich, und ich glaube das geht auch vielen so, sehr wenige Hinweise darauf hatte, wie viel genug ist. Wie viele Quellen benötige ich beispielsweise und wie viel muss ich belegen? Daran erinnere ich mich sehr. Die Betreuungssituation damals war so, dass mein Betreuer gesagt hat, er habe nicht viel Ahnung von meinen Thema und ich solle mal machen. Das ist dann bei mir etwas ausgeufert… Heute gibt es mehr Vernetzung unter Promovierenden und der Austausch ist explizit gewollt und unterstützt. Das hilft solche freidrehenden Geschichten zu verhindern.

Haben Sie einen abschließenden Ratschlag an Promovierende und Beschäftigte in der Wissenschaft?

Schmidt: Wenn Sie merken, dass Sie eine Unterstützung brauchen, trauen Sie sich nachzufragen. Das ist zwar eine Investition von Zeit und Geld, aber was ist die Alternative? Die Alternative ist nichts tun und da ist es manchmal gut rechtzeitig zu signalisieren ‚ich brauche eine zeitlich begrenzte, vom Umfang überschaubare Unterstützung, um die Klarheit zu bekommen, die ich vorher nicht hatte oder, um einen Schritt gehen zu können vor dem ich gezögert habe‘. Man braucht ein bisschen Mut und sollte nicht denken es sei komisch oder exotisch nach einer Begleitung oder Unterstützung zu fragen. Das Ergebnis von Coachings, Workshops, einer Beratung oder vielleicht auch einer Psychotherapie ist in der Regel, dass Sie gestärkter und kompetenter rausgehen und für ähnliche Situationen besser gewappnet sind.

Das Gespräch führte Redakteurin Carolin Heilig am 15.12.2022.

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