Erziehungswissenschtlerin-Lea-Siekmann

Schreibförderung durch Feedback – Promotion in den Erziehungswissenschaften

Lea Siekmann, 29, promoviert am Institut für Erziehungswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu Feedbackmethoden in der Schreibförderung. Im Interview mit hochschul-job.de verrät sie, womit sie sich im Rahmen ihres Forschungsprojektes befasst, welche Schwierigkeiten durch die Corona-Pandemie entstanden, wie es um die Schreibkompetenz von Schüler:innen steht, wie wichtig Vernetzung und Austausch mit anderen Doktorand:innen ist und warum man während einer Promotion manchmal sehr geduldig sein muss.

Erziehungswissenschaftlerin Lea Siekmann – Foto: Privat

Frau Siekmann, wie sind Sie zu den Erziehungswissenschaften gekommen?

iekmann: Ich habe einen Master of Education in den Fächern Musik und Englisch gemacht. Im Lehramtsstudium hat man auch bildungswissenschaftliche Module und lernt viel in dem Bereich kennen, insofern war das Interesse schon immer da. Parallel zu meinem Master of Education habe ich einen Fachmaster gemacht, in dem ich schon ein bisschen Forschungsluft schnuppern konnte und ich habe bereits als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Zum Ende des Masters war ich mir nicht sicher, ob ich direkt in die Schule möchte oder doch eher in die Forschung. Letztendlich habe ich meine jetzige Betreuerin kennengelernt, weil sie die Zweitgutachterin meiner Masterarbeit war.

Sie hatte gerade ein Drittmittelprojekt eingeworben und war auf der Suche nach Doktorand:innen. Das Thema hat mich interessiert und so habe ich mich dann zunächst für die Forschung entschieden.

Worum dreht sich Ihr Forschungsprojekt thematisch?

Siekmann: Ziel des Projektes ist es, Schüler:innen der neunten Klasse durch effektives Feedback von Lehrkräften beim Schreiben von Texten zu helfen. Ich bearbeite das Projekt zusammen mit einer zweiten Doktorandin. Ihr Fokus liegt auf dem Fach Deutsch und mein Fokus auf dem Fach Englisch. Das Projekt ist so aufgebaut, dass wir zunächst Fortbildungen entworfen, Lehrkräfte rekrutiert und dann die Fortbildungen mit den Lehrkräften der jeweiligen Fächer durchgeführt haben. Diese Fortbildungen umfassten verschiedene Feedbackmethoden und Methoden zur Förderung von Schreibkompetenz und Textqualität bei Lernenden. Das war sozusagen der erste Schritt. Im zweiten Schritt ging es darum, dass die Lehrkräfte die vermittelten Feedbackmethoden in der Praxis einsetzen. Wir haben dann geprüft, wie sich die Textqualität verändert, wie das Feedback von den Schüler:innen wahrgenommen wird und ob eine Entwicklung bei Variablen, wie Schreibangst oder der Selbstwirksamkeit beim Schreiben, feststellbar ist.

Hatten Sie mit pandemiebedingten Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Projektes zu kämpfen?

Siekmann: Wir hatten das Pech, dass die Umsetzung beziehungsweise der Einsatz der erlernten Feedbackmethoden mit den coronabedingten Schulschließungen kollidierte. Das war ein Problem, weil die Lehrkräfte dann mit vielen Neuerungen und Veränderungen konfrontiert waren und dadurch der Einsatz der von uns zur Verfügung gestellten Methoden und Materialien sowie die Dokumentation des Einsatzes in den Hintergrund rückte.

Wie haben Sie diese Probleme gelöst?

Siekmann: Ein Lösungsversuch war das Projekt mit einer neuen Reihe von Lehrkräften zu wiederholen, allerdings fiel der Feedback-Einsatz dann genau in die Zeit des zweiten größeren Lockdowns, das heißt, dasselbe Problem trat erneut auf. Wir hatten das Glück, dass ein Teil der Lehrkräfte, die wir vor dem ersten Lockdown akquiriert hatten, auch an der zweiten Messung teilgenommen hat. Wir konnten also trotzdem Daten erheben, aber es sind viel weniger als wir am Anfang eingeplant hatten.

Haben Sie dann sozusagen Daten für eine digitale Form der Schreibförderung erhoben?

Siekmann: Die Schulen waren in unterschiedlichem Ausmaß von den Schulschließungen betroffen, daher gab es zwar Online-Lehre aber auch immer wieder Phasen des Präsenzunterrichts, in denen die Lehrkräfte dann unsere Materialien einsetzen konnten.

Promotion in den Erziehungswissenschaften – Lea Siekmann zur Umsetzung ihrer Forschung

Wieso haben Sie gerade die neunte Klasse gewählt, um den Einfluss von Feedbackmethoden auf die Schreibförderung zu testen?

Siekmann: Das hat unterschiedliche Gründe. Die Datenlage ist für diesen Jahrgang relativ gering, weshalb es ein Forschungsdesideratum ist, mehr Wissen zu generieren. Es gibt ältere Studien, die zeigen, dass Lernende Probleme beim Texte schreiben haben und da wollten wir herausfinden, ob das immer noch so ist und wie man Lernende gegebenenfalls dabei fördern kann. Für die Untersuchung im Fach Englisch ist die Jahrgangsstufe 9 ebenfalls geeignet, weil wir uns nicht nur Orthografie oder Grammatik in den Texten anschauen, sondern auch die Formulierung zusammenhängender Texte, das heißt, inwiefern ein Text sinnvoll strukturiert ist und über einen roten Faden verfügt. In der neunten Klasse sollte der Grundwortschatz und die grundlegende Grammatik bereits erlernt worden sein, sodass man die Texte entsprechend auf einer anderen Ebene auswerten kann. Zudem markiert die neunte beziehungsweise die zehnte Klasse entweder das Ende der Schullaufbahn oder den Übergang zum Abitur und da ist es nochmal spannend zu sehen, ob die Lernenden die geforderten Kompetenzen erreicht haben oder ob es größeren Unterstützungsbedarf gibt.

Auf welche Schulform fokussiert sich Ihre Untersuchung?

Siekmann: Wir haben uns auf Schulformen spezialisiert, die nicht gymnasial sind, weil wir in älteren Studien sehen, dass es am Gymnasium zwar auch Schwierigkeiten geben kann, aber diese an anderen Schulformen, wie insbesondere an der Hauptschule und der integrativen Gesamtschule, besonders groß sind.

Wie steht es denn Ihrer Meinung nach allgemein um die Schreibfähigkeit von Schüler:innen?

Siekmann: Wenn wir uns unser Sample anschauen, sehen wir leider, dass wirklich großer Verbesserungsbedarf herrscht. Die Struktur der Texte ist teilweise nicht nachvollziehbar und Ideen werden eher aneinandergereiht anstatt verknüpft. Das erschwert das Textverständnis für die Lesenden, womit ein Hauptziel des Schreibens verfehlt wird. Während es in der Oberstufe für das Fach Englisch Erhebungen gibt, die zeigen, dass die Schüler:innen die Kompetenzstandards erreichen können, spiegeln unsere Ergebnisse für Klasse 9 also leider die Befunde älterer Studien wider, dass insbesondere Lernende an nicht-gymnasialen Schulformen Probleme beim Schreiben auf Englisch haben. Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich dennoch meist eher auf die Schwierigkeiten im Bereich der Rezeption, konkret auf das Lesen, während die Schwierigkeiten im produktiven Bereich nur wenig thematisiert werden.

Kann man eine negative Entwicklung beobachten, also sinken die Kompetenzen im Vergleich zu früher?

Siekmann: Es gab im Jahr 2000 bekanntermaßen den großen „PISA-Schock“. Da man zuvor die Kompetenzen der Schüler:innen nicht in einem so großen Stil erhoben hat, kann man Entwicklungen nur schwierig abbilden. Ich möchte mir nicht anmaßen zu sagen, dass die Kompetenzen immer weiter sinken, weil das einfach auch davon abhängt, wie man misst und welche Operationalisierungen man vornimmt. Schreiben wird häufig als Rechtschreibung oder grammatikalische Richtigkeit operationalisiert, zum Beispiel in den bundesweiten Erhebungen des IQB (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen – Anmerk. Red.). Aber da ist die Frage, ist nur das Schreiben? Wir würden das verneinen, weil wir für das Projekt einen Zugang gewählt haben, der hinterfragt, ob ein Text kohärent ist und ob es einen roten Faden gibt. Ich finde es schwierig da ein exaktes Bild zu zeichnen, weil es so viele Operationalisierungsmöglichkeiten gibt, die auch in der Vergangenheit unterschiedlich genutzt wurden.

Herausforderungen und Chancen – Perspektiven auf das Unterrichten an integrativen Gesamtschulen und das deutsche Bildungssystem

Wie geht man mit den speziellen Herausforderungen an integrativen Gesamtschulen am besten um?

Siekmann: Das ist eine sehr komplexe Frage, die man natürlich aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachten kann. Grundsätzlich möchte ich betonen, dass ich mit meinem jetzigen Stand der Ausbildung zwar schon erste Praxiserfahrung gesammelt habe aber noch keine Praktikerin bin, da das Referendariat für mich noch aussteht. Aus Forschungsperspektive könnte man aber sagen, dass man die individuellen Schwächen der Lernenden gezielt angehen muss und das nicht nur, indem man auf diverse Fehler hinweist, sondern mit selektivem Feedback versucht dezidiert einzelne Verbesserungen herbeizuführen. Im Idealfall sollten die Strategien an die Lernenden angepasst sein. Wenn nun aber in der Praxis 30 Schüler:innen vor einer Lehrkraft sitzen, ist die Umsetzung individueller Betreuung schwierig. Bei den Feedbackmethoden, die ja ein Schwerpunkt meiner Forschung sind, bietet es sich an, dass sich Lernende selbst kontrollieren können oder mit anderen Schüler:innen zusammenarbeiten, um so zeitsparend auch in größeren Lerngruppen Feedback einzusetzen. Gerade bei heterogenen Voraussetzungen unter den Schüler:innen, zum Beispiel im Bereich der Sprachkompetenz, könnte man Arbeitsgruppen so bilden, dass die Lernenden voneinander lernen und profitieren können. Diese Kombination von Stärken und Schwächen ist natürlich eine komplexe Aufgabe. Dazu muss man die Lernenden gut kennen. Ich sage auf keinen Fall, dass das einfach ist, aber man sollte es trotzdem so gut es geht versuchen.

Wie würden Sie das deutsche Schulsystem in seiner Gänze bewerten?

Siekmann: Da ich selbst nicht unmittelbar Teil des Systems bin, kann ich auch diese Frage nur als Außenstehende beantworten. Ich denke, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht, sieht man Vorteile aber auch Dinge, die anderswo besser laufen. Es ist zum Beispiel ein Problem in Deutschland, dass der familiäre Hintergrund der Schüler:innen nach wie vor einen bedeutenden Einfluss auf die schulischen Leistungen hat. Um alle Schüler:innen gleichermaßen fördern zu können, wäre es zum Beispiel zielführend, wenn es mehr Lehrkräfte an den Schulen gäbe und diese entsprechend ihrer Kompetenzen eingesetzt werden können. Abhängig von der Schulform sind einfach zu wenige Stellen ausgeschrieben. Die Schulen und Lehrkräfte arbeiten im Idealfall mit 100% Auslastung, aber sobald es zu Ausfällen, beispielsweise durch Krankheit oder Elternzeit kommt, stößt das System an seine Grenzen und Unterricht muss ausfallen oder von anderen Lehrkräften vertreten werden, die dann wiederum weniger Zeit haben, Unterricht vor- oder nachzubereiten, Klausuren zu korrigieren oder notwendige Verwaltungstätigkeiten auszuüben. Natürlich wären auch kleinere Lerngruppen ein Punkt, an dem man ansetzen könnte, weil dies eine individuellere Betreuung ermöglichen würde. Das wäre sozusagen das Idealziel, aber wie man dahin kommt, kann ich nicht sagen, denn da dürfte auch die Politik eine größere Rolle spielen und die stellt in einem föderalistischem Bildungssystem an sich ja schon eine Herausforderung dar.

Sie erwähnten in der Vorbereitung auf dieses Gespräch, dass Sie fast fertig sind mit Ihrer Promotion. Welche Arbeitsschritte fehlen noch bis zur Fertigstellung?

Siekmann: Ich habe meine Promotion im April 2019 begonnen und bin nun dreieinhalb Jahre dabei. Das Forschungsprojekt war in unterschiedliche Phasen gestaffelt. Als erstes ging es darum sich einzulesen, herauszufinden, welche Methoden sich für das Feedback in der Schreibförderung eignen, und dann die Fortbildungen zu konzipieren. Im zweiten Schritt wurden die Fortbildungen dann durchgeführt und Daten von Schüler:innen erhoben, welche wiederum ausgewertet wurden. Jetzt bin ich in der letzten Phase, in der die Ergebnisse publiziert werden. Schlussendlich muss ich die einzelnen Bausteine, die ich bereits erarbeitet habe, zusammenbringen und einen roten Faden für meine Arbeit finden. Zudem muss ich meine Verteidigung, die ich im Frühjahr/Sommer 2023 anstrebe, vorbereiten, weil das auch ein kleiner Verwaltungsakt ist.

Die Universität Münster hat Ihren Hauptsitz seit 1954 im ehemaligen fürstbischöflichen Schlosses – Foto: WWU – Jan Lehmann

Promotion in den Erziehungswissenschaften – „Durch Impulse von außen entwickelt sich der eigene Erkenntnisgewinn positiv“

Was würden Sie sagen, worauf kommt es im Schlussspurt am meisten an?

Siekmann: Man braucht Durchhaltevermögen, wobei das während der gesamten Promotion ein wichtiger Faktor ist. Besonders wichtig ist nun in der Schlussphase das Durchhaltevermögen in Bezug auf die Publikationen. Wenn man Beiträge bei einem Journal mit peer review einreicht, dann kann das eine ganze Weile dauern. Das ist etwas, was man sich bewusst machen sollte: Man ist nicht immer nur von sich selbst oder von der eigenen Leistung abhängig, sondern manchmal auch von anderen und das muss man einberechnen. Man muss bereit sein zu warten und auch mit dem Feedback, das zurückkommt, umgehen können. Ich hatte bisher immer Glück, dass ich zwar kritische Reviews hatte, aber die Kommentare dennoch zu einer Verbesserung meiner Publikation führten, während ich bei Kolleg:innen auch schon mitbekommen habe, dass die Kritik in nicht angebrachter Form geäußert wurde. Das darf man nicht zu persönlich nehmen und muss sich ein dickes Fell zulegen. Das hilft dann auch für kritische Fragen auf Konferenzen oder während der Verteidigung.

Wenn Sie auf Ihre Promotionszeit zurückblicken, was lief Ihrer Meinung nach richtig gut?

Siekmann: Ich bin insgesamt sehr zufrieden damit, wie es gelaufen ist. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Ich hatte eine sehr gute Betreuung. Ich glaube, da haben andere nicht so viel Glück, dass man eine Person an der Seite hat, die einen aufbaut oder motiviert, wenn man unsicher ist, ob das alles richtig ist, was man macht oder an die man sich wenden kann, wenn man Fragen hat. Das ist wahnsinnig wertvoll! Unsere Arbeitsgruppe ist in den letzten Jahren immer weiter gewachsen und es hilft sich mit Menschen, die einen ähnlichen Forschungsschwerpunkt haben, austauschen zu können. Durch diese Impulse entwickelt sich der eigene Erkenntnisgewinn positiv. Ich merke auch an mir selbst, dass meine Expertise steigt und dass ich jetzt wirklich Lust habe, die Sachen, die ich auf theoretischer Basis gelernt habe, in die Praxis umzusetzen.

Was lief hingegen nicht so gut und was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?

Siekmann: Was definitiv nicht so gut lief, war, dass die Pandemie die Durchführung des Forschungsprojekts erschwert hat. Die Datenerhebung sowie der Austausch mit den Lehrkräften wurde komplizierter und die generierten Daten müssen nun anders interpretiert werden. Aber ich glaube, wir haben gute Lösungen gefunden, um mit den Problemen umzugehen. Was durch die Pandemie auch negativ beeinflusst wurde, ist, dass viele Konferenzen entweder komplett abgesagt oder ins Digitale verlegt wurden. Dadurch war der fachliche Austausch mit Expert:innen von anderen Universitäten erschwert. Die Konferenzen, die ich in den letzten Monaten in Präsenz erleben durfte, zeigten einfach deutlich den Unterschied zu den digitalen Formaten. Online bleibt weniger hängen und man ist weniger gewillt Fragen zu stellen, weil da eine andere Barriere ist, als wenn man nach einer Präsentation kurz auf die Person zugehen und ein oder zwei Nachfragen stellen kann. Das wäre optimierbar gewesen, aber das sind äußere Umstände, die wir alle nicht beeinflussen konnten.

Gab es einen besonderen Höhepunkt, an den Sie sich erinnern können?

Siekmann: Das waren je nach Phase der Forschung unterschiedliche Momente. Wenn eine Lehrkraft nach einer Fortbildung sagt, das habe wirklich etwas gebracht, dann ist das natürlich schön. Oder wenn man die erste Präsenzkonferenz macht: Da ist man natürlich sehr aufgeregt vorher, weil man sich einem großen Publikum stellen muss und wenn das gut läuft, ist das eine sehr positive Erinnerung, die einen auch bestärkt, dass man etwas richtig macht. Wenn es jetzt an die Publikation geht, ist es natürlich ein Highlight nach mehreren Monaten des Wartens auf die Kommentare und nach der Überarbeitung ein positives Votum für die Veröffentlichung zu bekommen, weil man sich denkt ‚ja, die Arbeit hat sich ausgezahlt, es hat sich gelohnt‘.

Doktorandin Lea Siekmann: „Ich hatte zu Beginn meiner Promotion ein romantisches Bild vom Forschen“

Würden Sie eine Promotion grundsätzlich weiterempfehlen?

Siekmann: Das muss man individuell betrachten. Ich glaube, es kann vielen Menschen etwas bringen, aber man muss sich auch bewusst machen, worauf man sich einlässt. Es ist nicht immer einfach, dessen muss man sich bewusst sein und man braucht wirklich viel Durchhaltevermögen und eine intrinsische Motivation. Wenn man ein Thema hat, für das man brennt, das einen wirklich interessiert und in dem man einen Mehrwert und Nutzen erkennt, dann kann man das durchhalten. Ich hatte zum Beispiel zu Beginn meiner Promotion ein romantisches Bild vom Forschen, dass das alles einfacher geht und man mit weniger Hindernissen zu arbeiten hat. Da habe ich gemerkt, so romantisch, wie ich mir das alles ausgemalt hatte, man geht morgens hin, schaut in seine Daten, alles passt perfekt zusammen, und jetzt schreibe ich es einfach auf, so ist das natürlich nicht. Wenn man da bewusst heran geht, kann man viel für sich selbst lernen und natürlich auch für die Gesellschaft und für die Forschungsgemeinschaft viel voranbringen.

Haben Sie einen Ratschlag an angehende Promovierende?

Siekmann: Was mir über die Zeit mehr und mehr bewusst wurde, ist, wie wichtig Austausch ist, zum Beispiel auf inhaltlicher Ebene in den jeweiligen Fachbereichen oder über das jeweilige Thema. Ich habe das Glück, dass ich mein Forschungsprojekt mit einer anderen Doktorandin aufgebaut habe und es ist schön eine „Partnerin in crime“ zu haben, mit der man sich austauschen kann, wenn man nicht weiterkommt und einen neuen Impuls braucht oder einen Ratschlag, wie man mit einer herausfordernden Situation umgehen kann. Gerade wenn man keine Anstellung an der Universität hat, sondern extern promoviert, ist es umso wichtiger, dass man sich über die Angebote zur Vernetzung informiert. Konferenzen sind immer ein guter Anlaufpunkt. Es gibt auch spezielle Konferenzen für Nachwuchsforscher:innen. Dort kann man sehen, wie andere arbeiten oder Ideen sammeln, die die eigene Arbeit bereichern.

Nehmen Sie einen Konkurrenzkampf zwischen den Doktorand:innen wahr?

Siekmann: Ich persönlich empfinde das nicht so, weil ich eine sehr freundschaftliche Beziehung mit meiner Kollegin führe und auch mit den anderen Doktorand:innen in der Arbeitsgruppe ist es eher ein gegenseitiges, inhaltliches und emotional-mentales Unterstützen; ich weiß aber was Sie meinen. Ich glaube, man darf sich in der Wissenschaft nicht zu klein machen. Man muss wissen, dass die eigene Arbeit einen Wert hat und das auch nach außen tragen. Manche neigen dazu, sich stärker zurückzunehmen, während andere sehr überzeugt von ihrer Arbeit sind und dann auch ein bisschen nach dem Ellenbogenprinzip verfahren.

Wie empfinden Sie das System Promotion als junge Wissenschaftlerin? Welche Rolle spielen Stress und Publikationsdruck und wie geht man damit um?

Siekmann: Das spielt natürlich eine Rolle. Eine Sache ist das befristete Arbeitsverhältnis, das durchaus problematisch sein kann. Ich habe das Glück, eine volle Stelle zu haben, was in meinem Bereich sehr selten ist. Das heißt, für die Zeit, die ich arbeite, werde ich auch wirklich bezahlt und muss nicht maßlos unbezahlte Überstunden machen. Dass Arbeit, die geleistet wird, nicht entsprechend entlohnt wird, finde ich generell höchst problematisch, nicht nur in der Wissenschaft. Publikationsdruck habe ich keinen empfunden, weil ich schon recht früh mit dem Publizieren begonnen habe. Meine Betreuerin hat Wert darauf gelegt, dass wir frühzeitig anfangen unsere Ergebnisse aufzuschreiben, damit die Angst vor dieser großen Aufgabe ein bisschen genommen wird. Es war auf jeden Fall sehr hilfreich schon erste Kapitel zu schreiben und zu veröffentlichen, um das Ganze ein bisschen aufzubauen. Bereits Einiges verschriftlicht zu haben, auf das man zurückgreifen kann, erleichtert jetzt die letzte Phase der Promotion. Ein grundsätzliches Problem ist dann der Review-Prozess, der sich sehr lange ziehen kann und in den man wenig Einblick hat. Es gibt einzelne Erfahrungsberichte von Kolleg:innen, wie lange es bei ihnen gedauert hat, aber es bleibt undurchsichtig. Man könnte natürlich Journals auswählen, bei denen man weiß, dass der Review-Prozess relativ schnell geht. Grundsätzlich ist es aber natürlich wertvoller, wenn man in einem angesehenen Journal publiziert. Gerade wenn man in der Wissenschaft bleiben möchte, ist es gut, wenn man ein Journal oder einen Verlag hat, die besonders einschlägig oder besonders bekannt sind, weil die Publikationen auch für weitere Bewerbungen berücksichtigt werden. Insofern ist das eine sehr schwierige Situation.

Das heißt, Sie reichen ein Paper ein und wissen überhaupt nicht, wie lange das Review dauert, sondern müssen einfach abwarten?

Siekmann: So kann es laufen, ja. Ich warte heute zum Beispiel auf ein Journal, bei dem ich vor drei Monaten ein Paper eingereicht habe. Es gibt zwar die Information, dass es von zwei Personen zum Review angenommen wurde, aber seit dieser Annahme ist nichts mehr passiert, also es wurde noch kein Review vorgenommen. Das sind jetzt nur drei Monate, das könnte auch noch deutlich länger dauern. Mit dem ersten Review ist es ja auch nicht getan. Erst hat man selbst ein paar Monate Zeit, um das Paper zu überarbeiten, dann reicht man es wieder ein und muss schauen, ob es ausreicht. Theoretisch kann das Paper auch abgelehnt werden, dann war die ganze Arbeit umsonst. Deshalb meinte ich, dass man für diese letzte Phase ein dickes Fell braucht, weil viele Sachen außerhalb der eigenen Kontrolle liegen, und damit muss man umgehen können.

Haben Sie schon eine Idee davon, wie es nach der Promotion weitergehen soll?

Siekmann: Mein Plan ist, dass ich nach der Promotion das Referendariat mache. Ich habe jetzt so viel gelernt und es kitzelt mich in den Fingern, die Methoden selbst im Unterricht anzuwenden und die andere Seite zu sehen. Dazu bin ich wirklich motiviert und möchte das unbedingt machen. Auch nach dem Referendariat würde ich gerne an der Schule bleiben, Erfahrungen sammeln und direkter mit den Schüler:innen zusammen arbeiten. Ich habe sowohl während der Datenerhebung in den Schulen als auch während der Lehre an der Universität gemerkt, dass mir das einfach wahnsinnig viel Freude bereitet.

Das Gespräch führte Redakteurin Carolin Heilig am 10.10.2022

Interviews Promovierende, Karriere Pädagogik, Karriere und Wissenschaft