Anne Prill Hochschulforum Digitalisierung CHE

Universität der Zukunft?! Wie die Lernraumgestaltung in Zeiten der Digitalisierung die Lernkultur an Hochschulen verändern kann.

„Ich liege auf einer großen grünen Wiese, um mich herum sitzen auf der ganzen Wiese verstreut hunderte Studierende. Manche sitzen in dem weichen Gras, andere in großen bunten Sitzsäcken und Gymnastikbällen. Mir steigt der Geruch von frischem Kaffee von der Theke in die Nase. Ich verfolge das angeregte Gespräch meiner Kommiliton*innen über das Thema des letzten Seminars.” 

– „So stelle ich mir einen Campus der Zukunft vor. Einen Campus, an welchem die Studierenden die Möglichkeit haben zu verweilen, sich auszutauschen oder einfach die Gedanken schweifen zu lassen.” – Redakteurin Laura Marie Hattenhauer.  

Um diese Art von informellen Lernraum entstehen zu lassen, müssen zunächst entsprechende Flächen geschaffen werden und damit einhergehend auch das nötige Mobiliar. 

Anne Prill, 38, arbeitet seit sechs Jahren als Projektmanagerin am CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) für das Projekt „Hochschulforum Digitalisierung“. 2018 wurde die Thematik „zukunftsorientierte Lernräume“ in das Portfolio des Projektes aufgenommen. Für Hochschul-Job.de stellt Sie das Thema vor, erklärt, warum genau die Lernraumgestaltung so wichtig ist, wie es sich auf die Lehre der Zukunft auswirkt und welche Ansätze es bereits gibt.

Anne Prill – Projektmanagerin Hochschulforum Digitalisierung am CHE (Centrum für Hochschulentwicklung)

Transformation der Lehre – Die Voraussetzung für innovative Lehrmethoden

Wie sind Sie zu dem Thema zukunftsorientierter Lernraumentwicklung gekommen?

Prill: „Das hat zweierlei Hintergründe: im Hochschulforum Digitalisierung bewegen wir in verschiedensten Programmen neue Themen. Diese entwickeln sich aus der HFD Hochschulcommunity heraus. Unsere Beobachtung, wie dringend neue Lernräume zukunftsorientiert entwickelt und gestaltet werden müssen, hat dazu geführt, das Thema aufzunehmen. Generell bearbeiten wir die Themen immer vor dem Hintergrund der digitalen Transformation. Über die Lernraumthematik habe ich mir diesen Wandel noch einmal ganz neu erklärt. Deswegen ist es mir so wichtig. Digitalisierung in Studium und Lehre macht vieles komplexer. Das gedankliche Einfallstor ist meistens der Einsatz digitaler Technologien. Es ist aber viel mehr als das. Für mich vereint zukunftsorientierte Lernraumentwicklung viele Teilaspekte. Lernräume sind auch ein Lehrentwicklungsthema.“     

Hochschulforum Digitalisierung CHE – Zitat Anne Prill

„Wenn ich eine Hochschule betrete und sehe, dass man sich hier Gedanken über die Infrastruktur gemacht hat, freut mich das. Die Universität muss so gestaltet sein, dass man sich den ganzen Tag aufhalten kann, zum Beispiel in Form von Arbeits- oder Lerncafés. Die Studierenden müssen das Gefühl haben, sie sind willkommen und nicht nur Gast, um eine Vorlesung oder ein Seminar zu besuchen. Für die optimale Lehre sowie für effektives Arbeiten braucht es einfach die grundlegende bauliche Infrastruktur.“

Durch den immer stärkeren Einsatz digitaler Medien an Hochschulen entwickeln sich zunehmend neue innovative Lehrmethoden. Diese stoßen jedoch schnell an ihre Grenzen, häufig aufgrund traditioneller Lernarchitekturen, welche innovative Lernszenarien in ihrer Entwicklung hemmen. Die traditionellen Strukturen, welche überwiegend auf Frontalunterricht ausgelegt sind, können den Anforderungen moderner zukunftsgerichteter Lehre nicht mehr gerecht werden. 

Anne Prill: „Veränderungen der Lernräume sind die Voraussetzung für eine Transformation der Lehre.“ 

Durch den digitalen Wandel verändern sich auch die Lehrformate. Das Format der Vorlesung ist immer noch weit verbreitet und wohl aus keinem Modulplan wegzudenken. Vorlesungen existierten bereits im frühen 14. Jahrhundert, wobei der Gelehrte auf seiner Kanzel vor den Studierenden thronte und dabei aus eigenen oder Werken anderer Gelehrter vorlas und das Gelesene kommentierte. Vorlesungen dienten somit bereits seit dem Mittelalter der reinen Wissensvermittlung und bieten seither wenig Möglichkeiten mit den Studierenden in den aktiven Austausch zu treten.  

Frau Prill beschreibt das Lehrformat der Vorlesung in diesem Umfang als nicht mehr zeitgemäß: Vorlesungen, welche jedes Jahr aufs Neue gehalten würden, könnten konserviert und aufbereitet werden, sodass Studierende die Möglichkeit hätten, diese jederzeit online abzurufen. Dabei solle das Ziel sein, die Vorlesung als Impuls zu nutzen und darauf aufbauend in die Diskussion zu kommen. „Die wertvolle Zeit, die man in Präsenz am Campus hat, sollte nicht in Form einer Vorlesung, also im eindimensionalen Lehrformat, genutzt werden, sondern im Austausch mit anderen Studierenden und Dozierenden. Das kann in Form von Forschungsprojekten oder Praxisprojekten sein, die dabei unterstützen, das Gelernte zu verinnerlichen”, erklärt Prill.

Das bedeute nicht, dass Vorlesungsformate komplett gestrichen werden sollten, aber sie müssten bewusst eingesetzt werden, um mehr Vielfalt in der Lehre zuzulassen, meint Prill. Durch den ständigen Wandel und die damit einhergehend sich verändernde Wirtschaft, benötigen Studierende Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, mehr als nur Informationen zu reproduzieren.   

Prill: „Es geht um die Entwicklung von Zukunftskompetenzen. Hochschulen müssen Studierende dazu befähigen, sich ihre Zukunft, die aber noch recht ungewiss ist, selbst zu gestalten. Seit Jahren wandelt sich die Gesellschaft und Wirtschaft, vor allem auch im und durch den Technologiebereich. Wir möchten, dass sich die Lehre kompetenzorientiert entwickelt. Kompetenzorientiert bedeutet, beispielsweise die ‚4K’ (Kommunikation, kritisches Denken, Kollaboration, Kreativität) als Lehrziel zu integrieren. Diese Kompetenzen erlernt man nicht, wenn man die meiste Zeit im Vorlesungssaal sitzt, den Blick nach vorn gerichtet zuhört, und am Ende des Semesters eine Klausur ablegt.” 

Karriere in der Wissenschaft – Moderne Lehre als Grundstein der Zukunft 

Wieso ist die Lernraumgestaltung so wichtig?

Prill: „In den Hochschulen gibt es vorwiegend Vorlesungssäle und Seminarräume mit fest installierten Bänken und steigendem Gestühl. Das ist alles sehr starr und nicht flexibel. Als Dozierende*r hat man wenig Möglichkeiten, die Lehre vielfältiger zu gestalten. Eine Gruppenarbeit wäre hier sehr umständlich und nicht intuitiv, weil diese entgegen der Raumkonzeption steht. Die Räume in den Hochschulen suggerieren immer noch den lehrerzentrierten Frontalunterricht. Das bedeutet, wenn die Räume so aussehen und die Räume auch nur das hergeben, dann kann und wird sich in der Lehre auch nur ganz wenig ändern. Die Infrastruktur unterstützt eine Transformation der Lehre.” 

Das Ziel einer Lehre der Zukunft sollte also sein, Studierende hervorzubringen, die nicht nur Informationen reproduzieren können, sondern eigenständig im Team arbeiten können und auch fähig sind, Konflikte auszustehen. Die Lernräume bieten dafür das unmittelbare Umfeld. 

Prill betont dabei auch, dass die Projekte Änderungen in den Verhaltensweisen bewirken könnten. Das gelte auch in Bezug auf Hierarchien. In einem Raum, in welchem kein Pult vorhanden sei, spiele sich die Lehre zum Beispiel in einem Kreis-Setting ab. Bei dieser Art der Lehre könne sich eine Kommunikation auf Augenhöhe entwickeln. Der Abbau der Hierarchiegefälle sei in bestimmten Zügen für die Lehre der Zukunft ebenfalls ein bedeutender Punkt.

Der Campus als Ort der Identifikation

Wie müsste eine moderne Lernumgebung aussehen?

Prill: „Ich stelle mir einen Campus vor, an dem man sich gern lange aufhalten möchte. Wenn ich an meine Studienzeit zurückdenke, war das nie so. Ich habe mich nicht einmal in der Bibliothek aufgehalten zum Lernen. Für mich war dies nie ein Ort zum Verweilen oder gar zum Arbeiten. Ich habe in Berlin studiert und wurde in der Bibliothek stets von der ‚Regel-Wand’ begrüßt, was natürlich in keinster Weise zum Verweilen einlädt. In meinen Recherchen habe ich mir unter anderem Innovationstreiber*innen angeschaut und konnte dahingehend feststellen, dass sich viele Bibliotheken in den letzten Jahren zu innovativen Lernorten entwickelt haben.  

An der Technischen Hochschule Mittelhessen ergab sich in den Jahren 2013/2014 die Chance eines Umbaus der Hochschulbibliothek. An zwei Standorten (Friedberg und Gießen) entwickelte die Universität ein einheitliches Neukonzept, wobei das klassische Ausleihkonzept nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Der neue Lernort+ bietet an beiden Standorten zahlreiche Einzel- und Gruppenarbeitsplätze, wobei die Gruppenarbeitsplätze zusätzlich mit WLAN-fähigen Monitoren ausgestattet sind. Die Arbeitsplätze sind dabei in drei Zonen eingeteilt: ungestörtes stilles Arbeiten (Einzelplätze), leises Arbeiten an PC-Arbeitsplätzen und kommunikatives Arbeiten in Gruppen. Näheres dazu finden Sie im Themendossier Lernräume des Hochschulforum Digitalisierung.

Quelle: Prill, A. (2019). Lernräume der Zukunft. Vier Praxisbeispiele zu Lernraumgestaltung im digitalen Wandel. Arbeitspapier Nr. 45. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. 

Welche Möglichkeiten bieten sich noch?

Prill: „Die Räume sollten flexibles Mobiliar beinhalten und möglichst auf fest installierte Elemente verzichten. Wenn nur das Nötigste fest installiert ist, kann sich das Lernsetting schnell verändern, wodurch mehr Nutzungsszenarien und folglich mehr Möglichkeiten im Raum entstehen. Außerdem wird nicht nur die Lehre durch die räumliche Umgestaltung beeinflusst, sondern auch die Serviceangebote, die dadurch stattfinden können. Zum Beispiel können innovative Technikräume eingerichtet werden.” 

Eine weitere Frage, die bei der Gestaltung des Campus bedacht werden sollte: Warum muss lernen immer drinnen stattfinden? „Man muss sich Gedanken machen, wie man die Außenflächen am Campus mit einbinden kann.“ – erklärt Prill. Für kreative Formate könne man entsprechende Grünflächen nutzen, wofür man sich allerdings von den gern genutzten PowerPoint-Folien und Beamern wegbewegen müsse. 

Als Beispiel nennt Frau Prill die SLUB (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek) in Dresden: „Sie möchten den Bibliotheksgarten für kreative Schreibformate anbieten – der ‚Grüne Schreibraum‘. So ein Campus ist groß, warum also als Mensch nicht wieder in die Natur und diese in die Lehre integrieren.“

Anne Prill: „Es muss einen Mehrwert für die Studierenden geben, in Präsenz am Campus zu erscheinen.“

Konnte die Corona-Pandemie für eine Lehre der Zukunft schon etwas anstoßen?

Prill: „Die Corona-Pandemie war in vielerlei Hinsicht eine Zäsur für die Menschen. Im Hochschulbereich fällt auf, dass das Thema Lernraumentwicklung eine ganz neue Dynamik bekommen hat, mit oder durch Corona. Der mehr oder weniger gewaltsame Ad-hoc-Umzug ins Digitale war eine beachtliche Leistung von den Hochschulen in Deutschland. Das war aber natürlich eher ‚Emergency-Remote-Teaching‘, da die Zeit nicht vorhanden war, diese umfangreiche Umstellung zu planen. Viele mussten feststellen, dass allein zuhause vorm Rechner zu sitzen, unglaublich schwierig sein kann und der soziale Austausch in Persona unersetzbar ist. Mit dieser Einsicht wurde die Lernraumthematik bedeutender.” 

Viele Studierende sind in der Zeit der Online-Veranstaltungen vom Hochschulort weggezogen. Auch nach der aktiven Corona-Phase sind viele Studierende nicht an den Campus zurückgekehrt. Viele Veranstaltungen fanden als hybride oder gar rein als Online-Veranstaltung statt. 

„Wenn Hochschulen Studierende in Präsenz empfangen möchten, müssen sie den Studierenden einen Mehrwert am Campus bieten. Und das darf nicht darauf hinauslaufen, am Campus schlechtes Wlan zu haben oder vor verschlossenen Türen zu stehen. Es braucht Räumlichkeiten für Gruppenarbeiten, welche die Studierenden zuhause oder in der WG nicht haben. Das alles muss die Hochschule bieten, sodass die Studierenden gerne kommen und wissen, sie sind willkommen.” – erläutert Prill.

Der Campus muss also ansprechender für die Studierenden gestaltet werden?

Prill: „Richtig. Auch zum Thema informelle Räume gibt es inzwischen Forschungsergebnisse. Bisher haben wir ein Setting mit formellen Lernräumen. Ein Campus besteht aber eben nicht nur aus Hörsälen, Seminarräumen und Büros, sondern die gesamte Fläche dazwischen ist ein informeller Lernraum, auf denen man sich zufällig begegnet. Diese zufälligen Begegnungen, die Gespräche und die Impulse, die entstehen, kann kein virtueller Raum ersetzen. Ich wünsche mir, dass Hochschulen diesen Aspekt in ihre strategische Planung mit aufnehmen und realisieren, dass der Campus ein Ort des Austausches und des Wohlfühlens sein muss.”

Gemeinsam Richtung Zukunft – Ein wichtiger Schritt

Möchten Sie abschließend eine Botschaft an die Hochschulen oder Studierenden richten?

Prill: „Lernräume neu zu gestalten ist ein Thema von enormer Bedeutung. Allein die Prozessgestaltung, co-kreativ, gemeinschaftlich eine Lösung zu finden, wie neue Lernräume aussehen sollen, wie man damit umgehen soll, ist bereits ein wichtiger Schritt in die Zukunft. Meine Botschaft an die Hochschulen: Traut euch! Das Thema ist komplex, dabei kann man schon einmal die Lust oder die Motivation verlieren, sich als Hochschule auf den Weg in die Zukunft zu machen. Es gibt nicht den einen innovativen Lernraum oder das Konzept, sondern es sind manchmal einfach die kleinen Dinge, die Veränderung einleiten. Man sollte realistisch und pragmatisch an das Thema herangehen und Vertrauen in den Prozess bis zur endgültigen Umsetzung haben. Es ist ein dynamisches Thema, bei dem, bis der Lernraum fertig ist, noch häufig Änderungen getroffen werden. Das sollte einem bewusst sein, um dem Prozess Vertrauen schenken zu können, sodass am Ende etwas sinnvolles Neues steht, das uns alle weiter in Richtung Zukunft bringt.“

Dieses Interview führte Redakteurin Laura Marie Hattenhauer am 22.05.2023.

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