Promotion im Journalismus zu journalistischen Plattformen der Zukunft
Lukas Erbrich, 27, promoviert an der Technischen Universität Dortmund am Lehrstuhl für Medienökonomie. Gegenüber hochschul-job.de erklärt er, inwiefern Zusammenarbeit die Finanzierung des Journalismus zukünftig stabilisieren kann, wie sich sein Alltag am Institut für Journalistik gestaltet, was seine Lieblingsmomente bei der Arbeit sind und warum Journalist:innen mehr als gutes Schreiben beherrschen sollten.
Herr Erbrich, woran forschen Sie aktuell im Rahmen Ihrer Promotion
Erbrich: Ich beschäftige mich in meiner Forschung speziell mit journalistischen Plattformen und vor allem dem Marktpotential solcher journalistischer Plattformen. Der Journalismus hat das große Problem, dass seine Finanzierungsfähigkeit, besonders die privater Medien, gefährdet ist. 2019 haben Christian Wellbrock von der Hamburg Media School und Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität Weimar eine interessante Studie vorgelegt, in der sie unter anderem feststellen, dass journalistische Plattformen durch gewisse Effekte, zum Beispiel durch die Minimierung von Transaktionskosten oder durch gezieltes Abschöpfen von Zahlungsbereitschaften des Publikums, die Finanzierungsfähigkeit von journalistischen Gütern insgesamt und die der einzelnen Verlagen verbessern könnten. Wir untersuchen nun empirisch, wie das Marktpotential für solche journalistischen Plattformen in der Bevölkerung ist.
„Spotify für den Journalismus. Das wäre die ganz große Lösung.“
Wie geht diese Untersuchung genau von Statten?
Erbrich: Wir haben eine relativ große Umfrage mit 6.500 Menschen gemacht und anhand zweier Methoden, des Price Sensitivity Meters und der Gabor-Granger-Methode, optimale Preispunkte für verschiedene journalistische Produkte, speziell für Plattformen, abgefragt. Mit dem Price Sensitivity Meter wird abgefragt, ab wann Proband:innen ein Produkt zwar als teuer betrachten, es aber trotzdem kaufen, wann es zu teuer ist und daher nicht gekauft wird, wann es als billig wahrgenommen und gekauft wird oder ab wann ein Produkt als zu billig eingestuft und deshalb nicht gekauft wird. Das ist eine freie Abfrage und wir bekommen ganz unterschiedliche Preise als Ergebnisse. Bei der Gabor-Granger-Methode ist es hingegen so, dass für ein bestimmtes Produkt ein bestimmter Preis vorgegeben wird, also beispielsweise eine journalistische Plattform überregionaler Anbieter:innen, auf der Welt, Spiegel und Die Zeit verfügbar sind, zu einem monatlichen Preis von 14,95 Euro. Die Frage für einen bestimmten Preis lautet dann: Mit welcher Wahrscheinlichkeit würden Sie dieses Produkt auf einer Skala von eins bis fünf zu einem monatlichen Preis von 14,95 Euro abonnieren? Eins wäre „sehr unwahrscheinlich“ und fünf wäre sehr wahrscheinlich. Auf diese Weise können wir die Zahlungsbereitschaft und das Umsatzpotential für verschiedene journalistische Produkte errechnen.
Promotion an der Universität Dortmund – Wie kann die Finanzierung des Journalismus zukünftig gesichert werden?
Welches Ziel verfolgt Ihre Doktorarbeit aus wissenschaftlicher Sicht?
Erbrich: Ich untersuche, ob sich durch die besonderen Rahmenbedingungen, die Plattformen haben, bessere Finanzierungsbedingungen für den Journalismus herstellen lassen. Hier geht es nicht zwangsläufig um riesige Plattformen wie Spotify oder Netflix. Das wäre zwar schön, aber ich mache mir keine Illusionen, das wäre für die Verlage schwer aufzubauen. Das zugrunde liegende Problem ist, dass Verlage mit ihren verschiedenen Digitalabos jeweils nur wenig Gewinn erzielen. Deshalb könnte es sich anbieten, das Angebot zu einer gemeinsamen dezentralen oder zentralen Plattform zu bündeln und somit die Zahlungsbereitschaft der Leser:innenschaft besser auszuschöpfen. Die Konzeption dezentraler Plattformen ist eine Lösung, die zum Beispiel Christian Wellbrock vorgeschlagen hat. Nutzer:innen, die sich auf einer solchen Plattform anmelden, können dann über die einzelnen Webseiten der kooperierenden Medienunternehmen deren Plus-Produkte abrufen, wofür sonst mehrere Abonnements nötig wären. Eine zentrale Plattform käme bildlich gesprochen einer Art Spotify für den Journalismus gleich, wo alle regionalen und überregionalen Verlage vertreten sind, trotz ihrer Konkurrenz untereinander. Das wäre die ganz große Lösung. Ich spitze das mal ein bisschen zu: Die kooperativen Plattformen könnten die Rettung des Journalismus sein, vorausgesetzt die Verlage sind bereit dazu.
An welchem Punkt Ihrer Forschung stehen Sie aktuell?
Erbrich: Gerade bin ich in der Analyse, um die Marktpotentiale abschätzen zu können und dann die optimalen Preispunkte für die verschiedenen Szenarien und Produkte zu benennen. Die Frage ist dann, wie realistisch die praktische Umsetzung solcher Plattformen ist. Hierzu könnte ich mir gut vorstellen in Zukunft eine Umfrage unter Verlagsleiter:innen zu machen. Ich bin 100-prozentig davon überzeugt, dass dieser Ansatz Sinn ergibt, nur muss es in der Realität auch abbildbar sein.
Die Gespräche mit den Verlagsleiter:innen stehen dementsprechend noch aus?
Erbrich: Genau, das käme zu einem späteren Zeitpunkt, wenn wir die optimalen Preise errechnet haben. Es geht aber auch nicht vordergründig darum, die Verlage von diesen neuen Produkten zu überzeugen, immerhin sind wir in der Wissenschaft. Wir stellen unsere Argumente für Plattformen vor und wenn die Verlagsleiter:innen nein sagen, ist das ihre Entscheidung.
Was fasziniert Sie an Ihrer Forschung besonders?
Erbrich: Insgesamt finde ich diesen Ansatz meines Doktorvaters, kooperative Medienplattformen zu entwickeln, sehr wichtig, weil es, glaube ich, der einzige Weg für private Medien ist, um zukünftig relevant zu bleiben. Des Weiteren hat mich die Erkenntnis erstaunt, dass Produkte journalistischer Anbieter:innen im Internet eigentlich nicht von den Inhalten von Kommunikationsagenturen unterschieden werden können. Journalistische Produkte sind sogenannte Vertrauensgüter, das heißt selbst nach dem Konsum können Leser:innen die Qualität journalistischer Produkte nicht beurteilen, weil ihnen die Informationen hierzu fehlen. Ich komme aus der VWL und habe mich oft gefragt, warum Menschen im Internet nicht bereit sind für journalistische Produkte zu bezahlen. Es war mir nicht klar, dass es mit dieser Vertrauensgüterproblematik zusammenhängt.
Haben Sie bereits praktisch journalistisch gearbeitet?
Erbrich: Ja, ich habe schon journalistisch gearbeitet. In meiner Schulzeit habe ich ein Praktikum im Journalismus gemacht. Ich bin und war schon immer ein totaler Nachrichtenjunkie und habe viele Nachrichten konsumiert, speziell wirtschaftliche und politische Nachrichten. In der Zeit zwischen Bachelor und Master habe ich mich in ganz Deutschland um Redaktionspraktika beworben und dann bei einer Lokalredaktion in Flensburg und einer Wirtschafts- und Politikredaktion in Kiel gearbeitet, beides vor allem in Vorbereitung auf das Masterstudium. Während meines Masterstudiums bin ich dann die Lehrredaktionen an der TU Dortmund am Institut für Journalistik im Bereich Fernsehen, Radio, Print, Online und Social Media durchlaufen. Ein Praktikum während des Masters habe ich bei der FAZ in der Wirtschaftsredaktion absolviert. Dort habe ich gesehen, wie inspirierend manche Menschen schreiben können. Texte werden völlig anders gelesen, jedes Wort ist wichtig, gerade wenn es in die Zeitung kommt. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Eltern zu der Zeit im Urlaub im Ausland waren und sich regelmäßig die Print-Ausgaben gekauft haben, wenn sie wussten, dass Artikel von mir abgedruckt worden waren. Ich habe auch für die Webseite Texte geschrieben, aber es ist schon noch eindrücklicher die Texte in der gedruckten Zeitung zu lesen.
Promotion am Institut für Journalistik an der Universität Dortmund – mehr als nur Forschung
Kommen wir zurück zu Ihrer Arbeit am Institut: Können Sie einen klassischen Arbeitsalltag beschreiben?
Erbrich: Es gibt tatsächlich keinen klassischen Arbeitsalltag, aber ich könnte mal den morgigen Tag exemplarisch beschreiben, das ist nämlich ein typischer Mittwoch. Von neun bis zehn Uhr habe ich ein Jour Fixe mit meinem Chef. Da besprechen wir die Themen der Woche, was ansteht und was gerade relevant ist. Dann habe ich um zehn Uhr ein Seminar, das Semester hat ja wieder angefangen. In diesem Seminar beschäftigen wir uns mit Förderthemen und der Frage, wer finanziert Journalist:innen oder auch Medien-Start-ups. Nach dem Seminar habe ich wieder einen Zoom-Call mit unserer SHK (studentische Hilfskraft – Anmerk. Red.), in dem ich mit ihr bespreche, was für Aufgaben anliegen und an welchen Stellen sie uns unterstützen kann. Hinzu kommen die persönlichen Kontakte zu Studierenden, mit denen ich zum Beispiel Abschlussarbeiten bespreche. Diesen Kontakt zu den Studierenden, auch im Rahmen der Seminare, die ich halte, empfinde ich als sehr angenehm. Vorbereitungszeit für die Seminare und Zeit für die Korrekturen von Seminararbeiten muss ich ebenfalls aufbringen. Ein weiterer Teil meiner Arbeit ist dann natürlich meine Forschung. Das ist klassisch, wie man sich das wahrscheinlich vorstellt, dass ich in meiner Wohnung oder im Büro sitze und dort sehr viele Paper lese, sehr viel markiere und mir überlege, wie ich das für meine Forschung nutzen kann. Darüber hinaus verbringe ich im Moment viel Zeit mit der Datenanalyse.
Können Sie ungefähr abschätzen, welchen Anteil Forschung und Lehre in ihrem Arbeitsalltag ausmachen?
Erbrich: In den Semesterferien ist es mehr Forschung und in der Vorlesungszeit ist der Anteil dann geringer. Ich würde aber sagen, dass es sich insgesamt zu 60:40 aufteilt. 60 % für die Forschung und 40 % für die Lehre. Zur Lehre gehört die Vorbereitung der Veranstaltungen, die Lehrveranstaltung selbst, eine Reflektion, was gut gelaufen ist und was beim nächsten Mal noch besser laufen könnte und abschließend die Korrektur von Arbeiten.
Empfinden Sie den Spagat zwischen Lehre und Forschung als angenehmen Ausgleich oder ist es eher anstrengend sich zwischen zwei Aufgaben aufteilen zu müssen?
Erbrich: Ich bin ehrlich gesagt sehr dankbar dafür, dass ich hier Lehre halten darf. Ausschließlich Forschung zu betreiben wäre mir zu einsam. Es ist ein guter Ausgleich, weil ich in meiner Arbeit auch sehr flexibel bin. Natürlich habe ich Deadlines und dann bin ich nicht mehr so frei in der Zeiteinteilung, aber grundsätzlich kann ich auch mal sagen, ich möchte jetzt einfach gerade keine Daten analysieren oder ich möchte gerade kein Paper lesen, dann bereite ich eben die nächste Lehrveranstaltung vor. Wobei die Lehrveranstaltung vorzubereiten, dann auch bedeutet Paper zu lesen, also egal wie ich es drehe, ich lande dann immer wieder beim Paper lesen, aber das ist eben mein Job.
Gibt es einen besonderen Lieblingsmoment Ihrer Arbeit, an den Sie sich erinnern können?
Erbrich: In den letzten Monaten waren das meist die Besprechungen mit den Kollegen aus Weimar und Hamburg und mit meinem Chef. Als wir zusammen über die Auswertung der Daten gebrainstormt haben, hatten wir viele lustige Momente. Der Corona-Winter war wieder lang und es war schön alle wieder zu sehen und sich auch ein bisschen übereinander lustig zu machen. Ein weiterer besonderer Moment ereignete sich im letzten Jahr. Eine Studentin schrieb mir, dass sie aus meiner Vorlesung viel mitgenommen hätte und dass sie sich dafür bei mir bedanken wolle.
Welche Lehrveranstaltungen geben Sie im gerade begonnenen Semester?
Erbrich: Ich habe einmal das Förderseminar, in dem es speziell darum geht, welche Organisationen Journalist:innen, gegeben der prekären Arbeits- und Marktsituation, eigentlich fördern. Das sind beispielsweise Technologiekonzerne, Stiftungen, Journalistenschulen oder Landesmedienanstalten. Je nach Größe des Seminars lade ich unterschiedliche Akteure zu Konferenzen ein, die Studierenden bereiten Fragen vor und stellen diese Fragen dann an die Akteure selbst. Am 28. April haben wir zum Beispiel eine Projektmanagerin des EJC (European Journalism Centre – Anmerk. Red.) aus Maastricht zu Gast, die die Google News Initiative betreut. Im Rahmen dieser Initiative stellt Google Fördermittel für Verlage, unter anderem auch für die FAZ, bereit, damit diese wiederrum Fellows (Stipendiat – Anmerk. Red.) einstellen, die dann digitale Produkte entwickeln und sich mit datenjournalistischen Projekten beschäftigen. Später haben wir dann auch noch eine Konferenz mit einem Fellow selbst. Ich hoffe, dass sich einige Studierende später bei dieser Initiative bewerben und ich da eine Hilfestellung leisten kann. Mein zweites Seminar beschäftigt sich speziell mit der Start-up-Gründung und damit, wie sich freiberufliche Journalist:innen digital transformieren können. Wir bearbeiten aber auch grundlegende Themen, wie die Steuererklärung freiberuflicher Journalist:innen oder die Honorarverhandlungen. Wir haben in diesem Semester eine Zusammenarbeit mit dem CET (Centrum für Entrepreneurship & Transfer – Exzellenz Start-up Center der TU Dortmund – Anmerk. Red.) organsiert. Da sind wir dann für einen Tag in den Räumlichkeiten des CETs. Das ist so richtig „start-up-mäßig“ aufbereitet, mit einem Kicker und schönen, hellen Räumen. Ein Ziel meiner Seminare ist es, dass die Studierenden ihre spätere Tätigkeit als Geschäftsmodell verstehen. Ich denke, es geht darum Produkte verkaufen zu können und nicht nur schöne Texte zu schreiben.
Haben Sie bereits einen Plan, wie es für Sie nach der Promotion weitergehen soll?
Erbrich: Es gibt unterschiedliche Richtungen, in die ich gehen könnte. Ein Weg wäre der in die freie Wirtschaft, um in einer betriebswirtschaftlichen Abteilung eines Medienunternehmens oder auch für eine Kommunikationsagentur zu arbeiten. Darüber hinaus kann ich mir vorstellen in den Bereich der Förderung zu gehen, zum Beispiel bei einer Landesmedienanstalt, einer Stiftung oder einem Technologieunternehmen, das entsprechende Initiativen betreut. Auch der Bereich der Medienregulierung wäre eine Option oder natürlich eine Post-Doc-Stelle.
Würden Sie eine Promotion grundsätzlich weiterempfehlen?
Erbrich: Ich würde es empfehlen, aber ich glaube, dass gewisse Charaktereigenschaften sehr wichtig sind, wie zum Beispiel Unabhängigkeit und eine Spur Individualismus. Ich muss gut für mich sorgen können und intrinsisch motiviert sein. Es gibt Zeiten, in denen ich Tage lang nur für mich selbst bin und forsche. Da braucht man einfach eine gehörige Portion Motivation und man muss wissen, wofür man das Ganze macht. Auch ein gewisses Interesse an Wissenschaft und am Lesen von Papern ist eine Voraussetzung. Wenn ich schon nach dem Abstract genervt bin, ergibt es keinen Sinn zu promovieren. Darüber hinaus sollte man Spaß an der Lehre haben. Grundsätzlich empfinde ich es als sehr wichtig, wenn ich mich an meine Zeit als Student erinnere, dass jemand vorne steht, der/die gut präsentieren kann, der/die Lust auf sein/ihr Thema hat, der/die ein gewisses Charisma mitbringt, der/die weiß wovon er/sie spricht und der/die vor allem in der Lage ist, die Inhalte so zu präsentieren, dass es für die Studierenden verständlich ist.
Journalismus in der Zukunft – eine schwierige Prognose
Kommen wir noch einmal zurück zum großen Ganzen: Was denken Sie, warum ist das Vertrauen in den Journalismus so sehr gesunken?
Erbrich: Ich glaube, das liegt daran, dass wir uns unsere Informationen im Internet so zusammensuchen können, wie wir wollen. Früher wurde in der Tageszeitung die Welt erklärt. Heute kann ich im Internet genau die Informationen konsumieren, die zu meinem Weltbild passen. Die Algorithmen der Plattformen spucken genau das aus, was mich interessiert und wenn ich eine bestimmte politische Richtung habe, dann bekomme ich nur dementsprechendes zu lesen. Alle anderen, die meine Weltanschauung nicht vertreten, sind dann Lügner:innen. Ich glaube, es ist viel leichter geworden objektive Informationen zu umgehen, weil sich die Algorithmen, statt an demokratietheoretischen Kriterien, primär an Gewinnmaximierung orientieren.
Wie wird unsere Medienlandschaft Ihrer Meinung nach zukünftig aussehen?
Erbrich: Einerseits haben wir die öffentlich-rechtlichen Anbieter:innen, die aus meiner Sicht noch viel mehr auf objektive und relevante Informationen setzen müssen, um zwischen den Plattformen nicht zu verschwimmen. Es wäre aus normativer Sicht wichtig, dass sie sich ihrer Rolle als demokratierelevante Institution stärker bewusst werden und vielleicht eigene Plattformen aufbauen. Ein bisschen findet diese Entwicklung bereits statt, wenn wir an die Bündelung der Mediatheken von ARD und ZDF denken (Am 21. Juni 2021 verkündeten die Spitzen von ARD und ZDF, dass die Angebote der Sender zukünftig auch über die Mediathek des jeweils anderen Anbieters auffindbar sein sollen – Anmerk. Red). Es gibt meiner Meinung nach keine Alternative zu den Plattformumgebungen. Besonders META, Google und TikTok werden dabei eine bestimmende Rolle spielen. Die großen privaten Verlage, wie Axel-Springer, werden wohl weiterhin eigene Plattformen aufbauen und darüber ihren Journalismus refinanzieren. Möglicherweise müssen sich die privaten Verlage in ihren Inhalten noch stärker an Kommunikationsagenturen anpassen und mehr native advertising (Form von Werbung, bei der Inhalte als redaktionelle Arbeit „getarnt“ werden – Anmerk. Red.) betreiben, um genügend Geld zu verdienen. Besonders schwierig wird der Fortbestand für lokaljournalistische Verlage. An dieser Stelle wäre eine gemeinsame Plattform besonders wünschenswert, um Bündelungseffekte zu kreieren, Zahlungsbereitschaften besser abzuschöpfen und das Entstehen von News-Wüsten zu verhindern. Wir sehen in den USA, wohin so eine Entwicklung führen kann. Auf regionaler und lokaler Ebene könnte ich mir auch Medien-Start-ups gut vorstellen, verbunden mit der großen Hoffnung, dass diese Einrichtungen dann entsprechend gefördert werden. In diesen Start-ups liegt, meiner Meinung nach, das Potential die gesamte Branche umzukrempeln.
Gibt es in zehn Jahren noch eine Printzeitung zu kaufen?
Erbrich: Ich denke schon, aber es wird ein Premiumprodukt sein. Tageszeitungen, würde ich aus meiner persönlichen Sichtweise sagen, sind dann nicht mehr relevant, auch wenn es weiterhin Menschen geben wird, die dieses Produkt kaufen. Stattdessen werden Print-Magazine an Relevanz gewinnen. Die haben eher den Charme eines Buches. Ich kaufe mir für zehn Euro ein Magazin, das ich interessant finde, das thematisch sehr zugespitzt ist und in dem ich jeden Text lese. Da geht es weniger um tagesaktuelle Relevanz, sondern vielmehr darum, Themen zu schaffen, die von langfristigem Wert für mein Leben sind.
Das Gespräch führte Redakteurin Carolin Heilig am 12.04.2022
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