Promotion in Geographie und Umweltforschung – Kreativität ist der Schlüssel
Anne Köhler, 34, ist physische Geographin und promoviert an der Universität Leipzig im Bereich Geoarchäologie und Paläoumweltforschung zur Rekonstruktion einer ehemaligen Landschaft um die prähistorische Feuchtbodensiedlung „Pestenacker“ im nördlichen Alpenvorland. Im Interview mit hochschul-job.de verrät sie, was wir von den Menschen aus der Jungsteinzeit für unseren heutigen Umgang mit der Umwelt lernen können, wie wichtig für sie Kooperationen zum Beispiel mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sind, wie sie mit Schreibblockaden umgeht, warum Kreativität während und nach der Promotion eine wichtige Rolle spielt und was sie sich für ihre eigene Zukunft wünscht.
Frau Köhler, worum geht es in Ihrer Forschung?
Köhler: Ich beschäftige mich mit der Rekonstruktion der Umwelt und mit der Rekonstruktion der Mensch-Umwelt-Interaktion. Ich versuche rauszufinden, wie der Mensch die Umwelt verändert hat aber auch wie die Umwelt Einfluss auf den Menschen genommen hat. Diese Erkenntnisse aus der Vergangenheit versuche ich dann auf die Gegenwart zu übertragen und zu schauen, ob wir jetzt vor allem im Zuge des Klimawandels daraus irgendwelche Lehren ziehen können. Das Ganze mache ich für ein bestimmtes Untersuchungsgebiet in Bayern bei Landsberg am Lech. Dort gibt es eine Feuchtbodensiedlung, die von Menschen der Altheimer Kultur vor 5.500 Jahren, also in der Jungsteinzeit, angelegt wurde. Die Überreste in Form von Knochen, Hölzern, Holzkohle, Kleidungsstücken etc. sind heute noch im Boden enthalten. Ich versuche mit Bohrungen die Sedimente aus dem Untergrund herauszubekommen und damit die Umweltinteraktionen mit dem Menschen zu rekonstruieren. Man kann von der Farbe oder von der Korngröße der Sedimente auf die unterschiedlichen Ablagerungsbedingungen und demzufolge auch auf das Klima schließen. Diese Forschung betreibe ich nicht allein, sondern das ist ein großes Verbundprojekt. Ich mache das zusammen mit Geophysiker:innen vom Umweltforschungszentrum, die dann die geophysikalischen Methoden anwenden, mit Archäolog:innen vom bayrischen Landesamt für Denkmalpflege und natürlich mit meinen Arbeitskolleg:innen von der Universität Leipzig, die dann im Labor für mich die Sedimente analysieren.
Ihre Aufgabe ist also primär die Bohrung und die Laborarbeit wird von Kolleg:innen durchgeführt?
Köhler: Das kommt immer drauf an. Wenn ich genügend Bachelorand:innen oder Masterstudierende habe, die für mich ins Labor gehen, dann übernehmen die Studierenden die Laborarbeit aber es kommt auch vor, dass ich ins Labor gehe. Meist machen aber die Studierenden die Analyse im Labor und ich werte diese dann statistisch aus. Ich verbinde alle Ergebnisse der unterschiedlichen geochemischen und geophysikalischen Methoden und erzähle daraus eine „Geschichte“. Das bedeutet, dass ich die Informationen, die in den Sedimenten enthalten sind, entschlüssele und damit ein verständliches Gesamtbild der Vergangenheit rekonstruieren möchte.
Umweltforschung und ihre Lehren – Was können wir aus der Jungsteinzeit lernen?
Was kann man für Lehren auf unsere Zeit ableiten?
Köhler: Wir sollten beispielsweise nicht in die Aue (Uferlandschaft von Bächen und Flüssen, die von Hoch- und Niedrigwasser geprägt ist – Anmerk. Red.) eingreifen. Vor 5.500 Jahren haben die Menschen, wie wir das gesehen haben, nicht in die Umwelt eingegriffen. Durch das Ahr-Hochwasser vor einem Jahr haben wir aber gesehen was passiert, wenn der Mensch in der Aue siedelt und wenn Flüsse begradigt werden. In Flächen, wo eigentlich Wasserrückhaltebecken sind, sollte der Mensch einfach nicht eingreifen.
Wie kamen Sie zur Ihrem Dissertationsthema und zu dieser speziellen thematischen Schnittstelle?
Köhler: Also prinzipiell habe ich mich schon immer genau für den Bereich Mensch-Umwelt-Interaktion interessiert. Mein Chef, also mein Doktorvater, hat unter anderem in diesem Bereich seine Spezialisierung und hat vor ungefähr fünf oder sechs Jahren ein Projekt bei der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft – Anmerk. Red.) beantragt. Dieses Projekt wurde bewilligt aber der Post-Doc, der daran eigentlich forschen sollte, ist in die freie Wirtschaft gegangen und auf einmal war eine Stelle frei. Ich hatte gerade meinen Master abgeschlossen und hatte viel Glück. Eigentlich wollte ich gar nicht promovieren, aber dann habe ich das Angebot bekommen und es einfach gemacht.
Und sind Sie in der Rückschau zufrieden mit der Entscheidung?
Köhler: Auf jeden Fall!
Die Finanzierung ihres Projektes läuft also über die DFG?
Köhler: Genau, es ist ein ganz normales DFG-Projekt. Parallel zu meiner Forschung gebe ich aber auch Lehre und übernehme Aufgaben in der universitären Selbstverwaltung. Normalerweise haben Mitarbeiter:innen in Projekten kein Lehrdeputat. Da wir aber unterbesetzt sind, übernehmen bei uns in der Arbeitsgruppe auch alle Projektangestellten Lehraufgaben.
Welche Aufgaben bestimmen Ihren Arbeitsalltag am Institut?
Köhler: Das ist ganz divers, weil das darauf ankommt, ob gerade Semester ist oder nicht. Im Semester gebe ich zweimal die Woche Lehre und das muss dann auch vor- und nachbereitet werden. Wenn eine Feldphase ansteht, dann muss man die Vorbereitung dafür machen, Genehmigungen einholen, alles planen oder Unterbringungsmöglichkeiten mit den Studierenden besprechen. Nach der Feldphase macht man dann die ganze Auswertung: Proben trocknen, Proben aufbereiten und ins Labor gehen. In den Semesterferien werden dann vor allem Paper geschrieben und ich kann vielleicht mal in den Urlaub fahren, denn das können wir nur in den Semesterferien machen.
Es bleibt also auch Zeit für Freizeit?
Köhler: Ja, aber die muss man sich nehmen. Also am Anfang war das eher weniger und dann habe ich einfach gedacht ‚ne, es reicht jetzt, ich brauche meine Freizeit, ich arbeite nur noch sechs bis acht Stunden am Tag und dann ist gut‘.
Haben Sie eine Lieblingsaufgabe?
Köhler: Ich fahre unglaublich gerne mit den Studierenden und meinen Arbeitskolleg:innen ins Feld. Das ist zwar immer recht anstrengend aber auch am spannendsten und am abwechslungsreichsten.
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – Anne Köhler über den Mehrwert von Kooperationen
Sie erwähnten vorhin, dass Sie zusammen mit Forscher:innen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung arbeiten. Wie läuft diese Zusammenarbeit ab?
Köhler: Peter Dietrich und Ulrike Werban vom UFZ (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – Anmerk. Red.) übernehmen die geophysikalische Komponente im Projekt. Peter Dietrich hat selbst am DFG-Antrag für das Projekt mitgeschrieben und arbeitet bereits seit Längerem eng mit meinem Chef zusammen.
Nehmen Sie diese Zusammenarbeit als Mehrwert wahr?
Köhler: Ja, das ist ein absoluter Mehrwert, denn ich lerne immer wieder neue Methoden aus der Geophysik kennen und das finde ich super. Man ist auch besser vernetzt. Ich habe durch Ulrike Werban Ende des Jahres die Möglichkeit auf eine Tagung nach Chicago zu reisen, weil sie dort „Convenerin“, also Leiterin einer Session, ist und ich glaube, sonst würde man das gar nicht so richtig mitbekommen. Ich würde immer sagen, mit je mehr Menschen man kooperiert, desto mehr Input kriegt man und desto besser kann man die eigenen Ergebnisse verknüpfen.
Aber es ist ja schon auch eine zusätzliche Verpflichtung, oder?
Köhler: Im Endeffekt ist es eher so, dass das UFZ mir etwas zuliefert und alle Daten bei mir zusammen laufen.
Promotion Geographie – Anne Köhler über Schreibblockaden und ihren Umgang damit
Was waren die Höhen und Tiefen während Ihrer Promotionszeit?
Köhler: Höhen sind für mich persönlich immer im Feld oder nach der Feldphase, wenn man sehr viele neue Daten gewonnen hat, ein positives Feedback von den Studierenden bekommt, die mit im Feld waren, und überhaupt das Gelände und die Fläche neu entdeckt und neue Erkenntnisse gewonnen hat. Auch die Lehre ist ein schönes Erlebnis. Nach einem Seminar schaut man meistens in Gesichter, die etwas mitgenommen haben. Das gibt mir sehr viel. Tagungen sind weitere Höhepunkte. Einen Vortrag zu halten oder ein Poster vorzustellen und dann ein Feedback von anderen Wissenschaftler:innen zu bekommen, das betrachte ich als sehr positiv. Negativerfahrungen sind, wenn es einfach nicht vorangeht. Ich habe manchmal eine Schreibblockade. Gleichzeitig habe ich das Glück, dass mein Chef mich immer mal anstupst und sagt ‚Anne, schick einfach mal was, schick nur die Abbildungen, schick auch nur deine Stichpunkte‘ und dann geht es wieder voran. Ich habe auch viele Freunde, die ebenfalls in der Wissenschaft sind, beziehungsweise auch in der Geographie, und wenn man mit denen einfach abends über die Forschung spricht, hilft das ebenfalls. Man hat schon immer mal Tiefphasen aber die gehen relativ schnell vorbei.
Was würden Sie angehenden Doktorand:innen empfehlen, wie man durch diese Zeit kommt?
Köhler: Man muss für das Thema, das man bearbeitet, brennen. Wenn man sich nicht sicher ist, ob einen das Projekt interessiert, dann kann es, glaube ich, schnell scheitern, denn man kommt durch diese Tiefphasen nur dann, wenn es einen wirklich interessiert. Und man muss immer kommunizieren. Ich glaube, Kommunikation ist ein wichtiger Schritt, um aus solchen Tiefphasen wieder herauszukommen. Andere Leute kriegen das vielleicht nicht mit, wenn man in dieser Tiefphase ist und vor allem darf man keine Angst haben, das seinem Chef oder seiner Chefin zu sagen, denn denen ist ja auch daran gelegen, dass das Projekt gut läuft.
Empfinden Sie so etwas wie Publikationsdruck?
Köhler: Das hat man schon, aber man erarbeitet die Paper ja nicht allein, sondern man schreibt etwas, schickt das weiter, bekommt einen anderen Textbaustein zurück. Es ist schon ein bisschen Druck da, aber nicht so, dass ich nicht damit arbeiten könnte.
Würden Sie Masterstudierenden eine Promotion empfehlen?
Köhler: Das kommt drauf an, was es für ein Masterstudent oder -studentin ist. Manchen würde ich es empfehlen und machen eher weniger. Man muss einfach strukturiert sein, man muss selbstorgansiert sein, eine gewisse Kreativität an den Tag legen und dann würde ich es schon empfehlen, wenn man ein interessantes Thema hat.
Wieso gerade Kreativität?
Köhler: Ich finde, das unterscheidet die Wissenschaft von anderen Tätigkeiten. Man muss über den Tellerrand hinausschauen und darf nicht das machen, was die ganze Zeit schon gemacht worden ist. Bei der Arbeit mit den generierten Daten muss man überlegen, wie man das vergleichen und verknüpfen kann, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen und auch nach der Promotion braucht man Kreativität, wenn man weiter in der Wissenschaft bleiben möchte und dann neue Projekte, neue Methoden, neue Kooperationen oder neue Themenfelder erschließen will.
Jobaussichten in der Geographie – Anne Köhler zu den beruflichen Perspektiven als physische Geographin
Wie sind denn die Jobaussichten aus promovierte physische Geographin? Wohin führt der Weg dann üblicherweise?
Köhler: Üblicherweise bleibt man in der Wissenschaft. Ich würde auch gerne noch ein bisschen in der Wissenschaft bleiben. Ansonsten gibt es Landes- und Bundesämter für Umwelt, die physische Geograph:innen suchen. Das steht nicht dediziert in der Stellenausschreibung, aber es sind Themenfelder, die wir mit unserer Ausbildung abdecken können. Vor allem in der aktuellen Zeit durch den Klimawandel und die grüne Beteiligung in den unterschiedlichen Regierungen (Bundesregierung, Landesregierungen und auch auf kommunaler Ebene) sind solche Fähigkeiten gerade gefragt.
Was fehlt Ihnen noch an Arbeitsschritten, bis Sie Ihre Promotion abschließen können?
Köhler: Ich plane im April nächsten Jahres fertig zu werden und bis dahin ist erst einmal wichtig das dritte Paper zu veröffentlichen. Das ist fast fertig, also es war bereits bei einem Teil meiner Co-Autor:innen und ich habe deren Kommentare, die ich nun einarbeiten muss. Ich hoffe, dass ich den Text dann Ende des Monats nochmal an alle Co-Autor:innen schicken kann und das Paper dann bereit zum Einreichen und für das Review ist. Da ich kumulativ promoviere, muss ich dann noch meine Publikationen in einem Rahmentext zusammenfassen.
Wissen Sie bereits, ob es in Ihrer Arbeitsgruppe die Möglichkeit für eine weitere Beschäftigung gibt?
Köhler: Ja, ich habe die Möglichkeit im Anschluss an meine Promotion weiterhin in meiner Arbeitsgruppe zu arbeiten. Mein Chef hat mit weiteren Koorperationspartner:innen ein großes Projekt an Land gezogen. In einem bereits genehmigten Unterprojekt kann ich mich mit einbringen.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Köhler: Das weiß ich nicht. Ich würde am liebsten an der Universität bleiben aber nicht auf einer professoralen Stelle, sondern auf einer klassischen Mittelbaustelle. Ich bin mir zwar dessen bewusst, dass diese Stellen quasi nicht existent sind, aber das wäre mein Traum.
Was ist Ihre Meinung zum System Wissenschaft und zum akademischen Mittelbau?
Köhler: Der akademische Mittelbau übernimmt in der Regel viele administrative Aufgaben, viel Lehre und so weiter. Er hält den „Laden“ quasi zusammen. Leider gibt es jedoch zu wenige entfristete Stellen in diesem Bereich, sodass es meiner Meinung nach unter Umständen zu Qualitätsverlusten, auch in der Lehre, kommen kann. Da wir das natürlich alle (zumindest bei uns in der Arbeitsgruppe) nicht wollen, investieren viele von uns mehr Zeit, die weder vergütet wird noch irgendwo auf dem Papier auftaucht. Deswegen würde ich mich freuen, wenn es im Mittelbau zu Entfristungen kommt. Das wird bei uns an der Universität aber wahrscheinlich schwierig werden, da bin ich eher pessimistisch eingestellt.
Das Gespräch führte Redakteurin Carolin Heilig am 06.10.2022