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Promotion finanzieren über die DFG – Gute Finanzierung aber wenig Zeit

David Irion, 29, promoviert an der Fakultät für Geschichte an der Ludwigs-Maximilian-Universität München (LMU) zu den sogenannten Forschungsrahmenprogrammen der Europäischen Union. Im Interview mit hochschul-job.de verrät er, wie zeitintensiv seine Archivreisen sind, wieso er froh ist, eine steuerpflichtige Stelle zu haben, warum er sich mehr Perspektiven außerhalb der Wissenschaft wünschen würde, worauf man bei der Betreuer:innenwahl achten sollte und ob er sich eine langfristige Karriere in der Wissenschaft vorstellen könnte.

Geschichtswissenschaftler David Irion – Foto: Johannes Gansmeier

Herr Irion, worum dreht sich Ihre Forschung?

Irion: Die europäische Union ist heute ein forschungspolitischer Akteur von globaler Bedeutung. Manche Menschen haben schon vom sogenannten neunten Forschungsrahmenprogramm gehört, das mehr oder weniger in den letzten ein bis zwei Jahren aufs Gleis gesetzt wurde und nach langwierigen Verhandlungen einen Umfang von fast 100 Milliarden Euro als Finanzierungssumme bekommen hat. Dabei handelt es sich um ein zentrales Instrument der Forschungspolitik der Europäischen Union. Meine eigene Forschung beschäftigt sich mit der Entstehung und der Entwicklung der europäischen Forschungspolitik anhand dieser Rahmenprogramme. Das erste Forschungsrahmenprogramm wurde 1984 initiiert und hatte lediglich eine Haushaltssumme von 3,3 Milliarden Euro. Es gab also in relativer kurzer Zeit einen signifikanten finanziellen Zuwachs und damit einen markanten Bedeutungsgewinn, den ich mit meinem Projekt erklären möchte.

Was fasziniert Sie ausgerechnet an der Europäischen Geschichte?

Irion: Ich bin in der Geschichte immer weiter an die Gegenwart herangerückt. Ich hatte im Bachelor noch einen Mediävistik-Schwerpunkt und war im Master vor allem im 19. Jahrhundert unterwegs. Mittlerweile bin ich in der Zeitgeschichte angekommen, also dem Neusten, was wir in der Geschichte anzubieten haben. Was mich an ihr am meisten fasziniert, ist die historische Tiefendimension der uns umgebenden Wirklichkeit, die sich mit ihr untersuchen lässt. Ich glaube, dass vieles, was uns heute umgibt, nicht verstanden werden kann, ohne zu ergründen, woher es kommt und unter welchen Bedingungen es sich wie entwickelte. Gerade die europäische Integrationsgeschichte, und mein Projekt ist ja ein ganz kleiner Aspekt davon, bietet dafür eine hervorragende Perspektive. Denn ein einheitlicher Binnenmarkt ohne systematische Grenz- und Zollkontrollen oder eine gemeinsame Währung sind nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern waren Resultate eines langen Prozesses. Unterschiedliche Personen, Institutionen und Organisationen in verschiedenen europäischen Ländern waren hieran wechselseitig beteiligt.

Promotion Geschichte – „Im Archiv arbeite ich mich täglich durch hunderte Seiten“

Wie betreiben Sie Ihre Forschung und wie generieren Sie Ihre Daten?

Irion: Für mich ist die archivarische Arbeit unerlässlich. In der Neueren Geschichte ist es Fluch und Segen zugleich, dass sehr viele Quellen zur Verfügung stehen. Das ermöglicht es uns Historiker:innen einerseits auf einer breiten empirischen Basis zu arbeiten, kann aber, ob der schierem Menge an Quellenmaterial, andererseits auch erschlagend sein. Ich verfolge für meine Arbeit einen multiarchivarischen und damit multiperspektivischen Ansatz. Ich greife nicht nur auf ein Archiv und damit auf eine Perspektive zurück. Archive funktionieren nach dem Ordnungsprinzip der Provenienz. Quellen werden der Öffentlichkeit entsprechend ihrem Herkunfts- und Entstehungszusammenhang zugänglich gemacht. Das heißt, ich muss verschiedene Archive aufsuchen, um unterschiedliche Akteursperspektiven nachvollziehen zu können. Für Deutschland ist beispielsweise das Bundesarchiv der Bundesrepublik eine zentrale Anlaufstelle, wohin die meisten Ministerien ihre Überlieferungen abgeben. Genauso forsche ich in Archiven in Frankreich, im Vereinigten Königreich, in Italien und in den Niederlanden, weil diese Länder wichtige Akteure der EU sind oder waren. Das Ganze ergänze ich durch Archivrecherchen in EU-Institutionen, um die Binnenperspektive der EU zu fassen. In Summe werde ich am Ende in circa 15 Archiven in sechs Ländern gewesen sein, um eben die Geschichte der Europäischen Union oder der Europäischen Integration nicht nur aus der Perspektive eines Mitgliedslandes oder eines Akteures zu erzählen, sondern diesen Vorgang der Entwicklung und Entstehung der Forschungspolitik möglichst mehrdimensional abbilden zu können.

Arbeiten Sie vordergründig mit Online-Quellen oder blättern Sie sich durch die Papiere?

Irion: Die Archive sind Institutionen, die noch sehr im analogen Zeitalter verhaftet sind. Während der Corona-Pandemie blieb es daher vielen Historiker:innen verwehrt in den Archiven arbeiten zu können. Das ist letztendlich aber die Voraussetzung, um an empirisches Material zu kommen. Es gibt Archive, die relativ modern sind und viel digital zur Verfügung stellen oder auch im Zuge der Corona-Pandemie viel digitalisiert haben, was sich dann ortsunabhängig einsehen lässt. Das gilt allerdings nur für eine kleine Minderheit. Seit ich mein Projekt vor anderthalb Jahren angefangen habe, war ich mehr als die Hälfte der Zeit nicht in München in meinem Büro, sondern auf Reisen in den jeweiligen Ländern und den jeweiligen Städten, oft auch für mehrere Monate, um dort intensiv zu forschen und mich täglich durch hunderte von Seiten durchzuarbeiten, weil einfach nur ein verschwindend kleiner Teil der Quellen digitalisiert ist. Es geht dann darum, dass man diese Dokumente durchsieht und möglichst schnell, möglichst viele Informationen aufsaugt – ähnlich einem Schwamm. Vor wenigen Jahren musste man relevante Quellenpassagen noch handschriftlich abschreiben. Das hat dann natürlich viel länger gedauert. Mittlerweile darf man teilweise Fotos oder Kopien anfertigen, aber das geht nicht in allen Archiven, sondern hängt von der jeweiligen Institution und dem spezifischen Bestand ab. Ich lese die Akten quer und durchsuche sie nach bestimmten Schlagworten, wie Daten, Orten oder Namen, die ich mir zuvor überlegt habe. Die eigentliche Auswertung und Analyse erfolgen dann erst im heimischen Büro, weil man die kurze Zeit in den Archiven nutzen muss, um möglichst viel Material zu sichten. Ich habe mittlerweile circa 80.000 Fotos. Das entspricht 80.000 Seiten beschriebenen Papiers. Das kann natürlich kein Mensch lesen, vor allem nicht in drei Jahren, also geht es dann in einem zweiten Schritt darum die Quellen zu selektieren.

Wie organisieren Sie diese 80.000 Fotos?

Irion: Es gibt den ein oder anderen Tag, an dem mich leichte Panik überkommt, den Überblick zu verlieren und etwas nie wieder zu finden. Ich versuche die Sachen nach dem Provenienz-Prinzip zu ordnen. Das heißt, ich speichre sie nach der Signatur ab, unter der ich sie gefunden habe. Darüber hinaus führe ich Listen mit Metadaten, in denen ich mir zu den Akten Stichpunkte aufgeschrieben habe und ungefähr skizziert habe, was in der Akte steht. Ich ordne die Dokumente dann wiederrum den einzelnen Kapiteln meiner Arbeit zu und versuche die jeweilige Akte so direkt im richtigen Sinnzusammenhang zu lesen. Bisher funktioniert das ganz gut. Es ist allerdings sehr zeitintensiv das alles zu händeln, weil auch viele banale Schritte dazu gehören. Wenn ich die Fotos gemacht habe, füge ich sie als pdf-Datei zusammen und führe eine OCR (Optical Character Recognition – Anmerk. Red.) durch, damit ich die Quellendokumente später nach bestimmten Wörtern durchsuchen kann. Allein dadurch gehen nach einem Archivbesuch nochmals ein bis zwei Wochen ins Land, in denen ich nur damit beschäftigt bin, die gewonnenen Datenmengen in einer Art und Weise abzuspeichern, die es mir erlaubt, sie systematisch wiederzufinden.

Sind diese 80.000 Fotos jetzt die Basis, mit der Sie arbeiten oder kommt noch mehr dazu?

Irion: Den Großteil der Archivreisen habe ich gemacht und manche Archivebestände habe ich bereits komplett gesichtet, sodass ich sagen kann, ich habe alles gesehen, was für mein Thema von Interesse ist. Aber es folgen noch ein paar Reisen. Ich gehe davon aus, dass sich meine Datenbasis noch um 20% erweitern wird. Meine Freunde und meine Familie fragen mich oft nach einem Archivbesuch, ob ich etwas Hilfreiches gefunden habe. Ich muss dann immer sagen, dass ich das nicht wüsste, denn dazu ist die Archivrecherche vor Ort nicht da. Wie gesagt: Im Archiv versuche ich so schnell wie möglich herauszufinden, ob ein Dokument für mich relevant ist und sichere es. Erst zu Hause lese ich mich in die digitalisierten Quellen ein, analysiere sie und kann dann beurteilen, ob es ein großer Fund war oder nicht. Ich habe schon oft bei Dokumenten, von denen ich im Archiv dachte, die seien nicht viel wert für meine Arbeit, später festgestellt, dass sie sehr gut zu meiner Forschungsthese passen.

Promotion Finanzierung – „Die DFG-Stelle verbindet für mich das Beste aus zwei Welten“

Wie finanzieren Sie Ihre Promotion?

Irion: Das Projekt ist über die DFG drittmittelfinanziert (Deutsche Forschungsgemeinschaft – Anmerk. Red.). Mein Projekt ist Teil einer größeren Forschungsgruppe und für drei Jahre finanziert. Das bedeutet, ich habe für 36 Monate eine 65%-Stelle. Die Archivrecherche ist sehr zeitintensiv, daher werde ich die Hälfte meiner Promotionszeit nicht in München gewesen sein und in dieser Zeit habe ich noch nichts für die Arbeit geschrieben. Schließlich anderthalb Jahre für die Durchsicht und Analyse der Quellen und das Verfassen der kompletten Dissertation zu haben, ist zeitlich sehr knapp bemessen. Ich kenne eigentlich niemanden in meinem Fach, der die Promotion in unter dreieinhalb Jahren geschafft hat. Die Zeit ist einerseits knapp, aber andererseits muss ich sagen, dass die Finanzierung gut ist. Ich lebe in München, eine der offensichtlich teuersten Städte Deutschlands, sowohl was die Mietpreise anbelangt als auch die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Ich kann dennoch sagen: Von meinem Lohn kann ich gut leben. Der Regelsatz für Promotionsstipendien ist beispielsweise 300 bis 400 Euro netto niedriger als mein Monatsverdienst.

Welche weiteren Vorteile sehen Sie in der Drittmittelfinanzierung?

Irion: Aus meiner Sicht vereint die DFG-Stelle das Beste aus zwei Welten. Es ist wie eine Kombination aus Stipendium und Anstellung an der Universität und geht mit den jeweiligen Vorteilen einher. Ich habe im Rahmen der Drittmittelstelle keine dienstrechtlichen Verpflichtungen jenseits der Dissertation. Ich habe keine Lehrverpflichtungen und mein Chef ist nicht befugt mich für Lehrstuhlarbeiten abzuziehen. Das bietet auch ein Stipendium. Gleichzeitig sitze ich aber auf einer Stelle, das heißt, ich bin steuer- und sozialabgabenpflichtig. Auf den ersten Blick klingt das widersinnig, aber wenn man auf die 30 zu geht und irgendwann gerne in die Sozialkassen einzahlen würde, um einen späteren Rentenanspruch zu erwerben, ist das kein unerheblicher Aspekt. Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, ist die Drittmittelstelle für mich eine ziemlich gute Sache, um unter sehr guten Bedingungen promovieren zu können.

Was passiert, wenn Sie Ihre Promotion im vorgeschriebenen Förderzeitraum von drei Jahren nicht fertig stellen können?

Irion: Es gibt immer die Möglichkeit zu versuchen diese drei Jahre aufgrund außergewöhnlicher Umstände zu verlängern; Corona wäre einer. Allerdings ist die DFG ein aus staatlichen Zuwendungen finanzierter Geldgeber, das heißt, im Zuge der Entwicklung der Staatsfinanzen seit Corona, Krieg und Inflation sind die Mittel dort begrenzt und jüngst sogar eher gekürzt worden. Nach allem, was ich bisher gehört habe, ist es sehr schwierig eine Corona-Verlängerung zu bekommen. Ich hatte im ersten halben Jahr meiner Promotionszeit keine Möglichkeit in Archive oder Bibliotheken zu gehen und konnte dadurch eigentlich nicht arbeiten. Ausgehend davon werde ich versuchen eine Verlängerung zu bekommen, unabhängig davon, wie erfolgsversprechend das erst einmal erscheint. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit mich bei meiner Universität oder bei externen Mittelgeber:innen um ein Abschlussstipendium zu bewerben. Diese fördern beispielsweise am Ende der Dissertation ein zusätzliches halbes Jahr, um die Qualifikationsschrift abzufassen. Und es gibt noch eine dritte Möglichkeit, von der ich bereits Gebrauch gemacht habe: Ich kann meine Förderdauer verlängern, indem ich noch während meiner Anstellung Stipendien einwerbe und mich dann für die Dauer der dort bewilligten Förderzeit bei der DFG unbezahlt freistellen lasse. Diese „fremdfinanzierte Pause“ verlängert dann kostenneutral – wie es so schön heißt – meine eigentlich auf 36 Monate befristete DFG-Stelle. Ich war beispielsweise in diesem Jahr für zweieinhalb Monate mit einem Stipendium in London und um diese Zeit verlängert sich dann mein Arbeitsvertrag.

Sehen Sie das als Nachteil der Drittmittelfinanzierung, dass die Zeit so knapp bemessen ist?

Irion: Ja, das ist durchaus ein Punkt, wobei ich sagen muss, die Dokorand:innen, die ein Stipendium haben, haben in der Regel noch kürzere Förderdauern. Diese betragen manchmal nur anderthalb oder zwei Jahre und müssen dann bereits mittels eines Antrags verlängert werden. Drei Jahre sind dann auch hier die Maximalförderdauer. Stipendiat:innen haben also sogar den Nachteil, dass sie bereits während der eigentlichen Förderdauer Anträge schreiben müssen, um überhaupt die volle Förderdauer in Anspruch nehmen zu können, was, wie ich finde, fast einer Gängelung gleichkommt, denn zwei Jahre sind für Promotionen in der Geschichtswissenschaft schon eine beinahe lächerlich kurze Förderdauer. Auch an der Universität selbst gibt es bedingt durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eigentlich keine unbefristeten Stellen mehr. Dabei handelt es sich also um ein generelles, strukturelles Problem in der Wissenschaft.

Wie finanzieren Sie Ihre Auslandsaufenthalte in der Regel?

Irion: Ich bin in der komfortablen Situation, dass meine Drittmittelstelle über einen eigenen Reisemitteltopf verfügt. Dieser beläuft sich auf etwa 12.000 Euro. Das klingt erst einmal nach sehr viel und das ist auch nicht wenig, aber wenn man dann über drei Jahre reist, merkt man doch relativ schnell, dass einem diese Summe zwischen den Fingern zerrinnt. Im Fall meiner Reise nach Großbritannien hatte ich aber ein Stipendium vom Deutschen Historischen Institut London, sodass ich mein Reisebudget ein bisschen schonen konnte.

Promotion Geschichte – „Es sollten mehr Perspektiven außerhalb der Wissenschaft aufgezeigt werden“

Decken sich die 65% Ihrer Stelle mit der Zeit, die Sie in der Realität arbeiten?

Irion: Nein! Jeder/Jede, der/die das glaubt, hat eine lebensfremde Vorstellung davon, wie zeitintensiv die Arbeit an einer Promotion ist. Wir alle, die wir eine 65% oder 50%-Stelle haben, arbeiten natürlich Vollzeit. Der Nachteil einer Promotion ist sozusagen, dass die Arbeit daran nie aufhört. Man kann immer noch mehr machen und es gibt niemanden, der einem sagt, ‚jetzt hör mal auf und mach Feierabend‘. Man arbeitet komplett selbstbestimmt – ich schätze das aber sehr. Gleichzeitig erfordert diese Art des Arbeitens aber natürlich auch ein hohes Maß an Disziplin und man muss selbstständig seinen eigenen modus operandi finden. Kürzlich erst hat das Bundesarbeitsgericht ein Urteil zur pflichtmäßigen Arbeitszeiterfassung durch die Arbeitgeber:innen gefällt. Das stellt die Universitäten nun vor große Herausforderungen, denn bis dato erfassen zumindest wir wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen unsere Arbeitszeit nicht systematisch.

Ist es für Sie in Ordnung, dass die Arbeitssituation so ist, wie sie ist?

Irion: Ich bin in dieser Hinsicht immer illusionslos gewesen. Es war für mich eine bewusste Entscheidung mich auf den Wissenschaftsbetrieb einzulassen. Ich wusste und weiß um die Begrenztheit der finanziellen Mittel und Ressourcen in unserem Fachbereich. Gerade deshalb halte ich es für ein Privileg mithilfe einer drittmittelfinanzierten Stelle promovieren zu können.

Was würden Sie sich für das System der Wissenschaft und für Nachwuchswissenschaftler:innen wünschen?

Irion: Ich würde mir zielgerichtetere Hilfen für talentierte junge Nachwuchswissenschaftler:innen wünschen, die unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund die Chance bekommen sollten, promovieren zu können. Förderung nach dem Gießkannenprinzip halte ich dagegen für kontraproduktiv, auch weil das eigentliche finanzielle Nadelöhr in der Finanzierung wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten erst nach der Promotion, in der Post-Doc-Phase, folgt. Ich würde ich mir deshalb wünschen, dass spätestens im letzten Studiendrittel stärker Inhalte Eingang in die Curricula fänden, die den Studierenden Karrierewege innerhalb wie außerhalb des akademischen Betriebes aufzeigen. Ich glaube nicht, dass mehr Stellen an den Universitäten alleinseligmachend wären. Die Berufsperspektiven, die sich Historiker:innen außerhalb der Wissenschaft bieten, müssen konsequenter schon im Studium durch die Universitäten in den Blick genommen und vermittelt werden.

Sie sagten vorhin, dass Sie nicht für Lehrstuhlaufgaben eingesetzt werden dürfen. Entspricht das der Realität?

Irion: In meinem Fall wird sich sehr strikt an diese Vorgabe gehalten, aber ich kann nicht ausschließen, dass das teilweise anders gehandhabt wird. Mein Doktorvater versucht mich im Hinblick auf zukünftige Berufschancen einzubinden, sodass ich beispielsweise freiwillig ein Lehrdeputat übernehme. Sollte ich mich wirklich dazu entschließen eine Habilitation zu schreiben und dem akademischen Betrieb treu zu bleiben, wäre Lehrerfahrung obligatorisch.

Welche Aufgaben bestimmen denn Ihren Arbeitsalltag, wenn Sie in München am Schreibtisch sitzen?

Irion: Das ist stark von administrativen Aufgaben geprägt. Ich habe am Anfang unterschätzt, wie viel Vor- und Nachbereitung die Archivreisen mit sich bringen. Ich kann nicht einfach in ein Archiv fahren, sondern das erfordert eine ausführliche Recherche, um herauszufinden, wo sich die Bestände überhaupt befinden. In der Anfangsphase meiner Dissertation war es entscheidend, erst einmal zu identifizieren und zu lokalisieren, wer wann und wo geschrieben und gearbeitet hat, um davon ausgehend mit den Archiven Kontakt aufzunehmen. Durch Corona haben viele Archive einen enormen Bersucher:innenrückstau, sodass ich bei manchen Archiven seit eineinhalb Jahren darauf warte sie besuchen zu können. Dann muss man die Bestände vorbereiten. Man kann nicht einfach hingehen und interessante Dokumente aus einem Regal ziehen, sondern oft müssen Quellen aus externen Magazinen bestellt werden oder es liegt eine archivalische Schutzfrist auf den Dokumenten. Die allgemeine Schutzfrist für Archivgut in Deutschland beträgt 30 Jahre. Da sich mein Untersuchungszeitraum bis zum Anfang der 2000er-Jahre erstreckt, fällt ein Großteil des für meine Arbeit relevanten Quellenmaterials unter diese Schutzfrist. Ich muss dann Anträge auf Aufhebung der Schutzfrist stellen, Einzelanträge für jede Akte, damit ich sie überhaupt einsehen kann. Ich würde sagen, in diesem Jahr war ich mit den Archivreisen und mit der Vor- und Nachbereitung sicherlich, ohne zu übertreiben, sieben Monate, von den jetzt zehn beschäftigt. Da komme ich dann nicht mehr zu so viel anderem. Nebenher lese ich viel, exzerpiere die Texte und wenn ich dann noch Zeit habe, schreibe ich ein bisschen an meiner Arbeit und arbeite mit meinen Quellen. Darüber hinaus gibt es externe Projekte. Ich organisiere mit einem Kommilitonen zusammen eine Konferenz oder schreibe einen Aufsatz, den ich dann bei einer Zeitschrift einreiche.

Promotion Geschichte – „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“

Warum haben Sie sich grundsätzlich für die Promotion entschieden?

Irion: Das klingt jetzt sehr idealistisch, aber es ist schon die Liebe zu meinem Fach gewesen. Auch die Art des wissenschaftlichen und selbstbestimmten Arbeitens gefällt mir einerseits einfach unglaublich gut und entspricht andererseits meinem Naturell. Wie gesagt: Das selbstbestimmte Arbeiten ist Chance und Herausforderung zugleich. Nach der Masterarbeit habe ich den starken Wunsch verspürt noch einmal sehr tief in ein Thema eintauschen und dadurch quellennah in Archiven arbeiten zu können. Ich habe mit der Geschichte mein Hobby auch ein bisschen zum Beruf gemacht. Ich liebe meine Dissertationszeit: Zu lesen, zu analysieren, zu schreiben, zu Seminaren und Konferenzen zu gehen – Wann im Leben haben Sie diese Gelegenheit noch einmal? Aber ich sehe natürlich auch, wie einsam, wie herausfordernd und wie langwierig diese Arbeit manchmal sein kann.

Haben Sie Ratschläge an angehende Doktorand:innen, wie der Prozess der Promotion gelingen kann und was man auf jeden Fall mitbringen oder beachten sollte?

Irion: Man sollte eine gewisse Resilienz und Ausdauer mitbringen. Eine Dissertation ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Das ist zwar ein abgedroschener Sportlerspruch, aber in diesem Fall hat er seine Berechtigung. Was mir immer geholfen hat, auch schon bevor ich meine Promotion begonnen habe, war, mich mit anderen Doktorand:innen auszutauschen, um von ihren Erfahrungswerten zu profitieren. Das hat mir die menschliche Dimension einer Promotion verständlich werden lassen, die Broschüren und Universitätswebseiten nur in Ansätzen vermitteln können. Gleichzeitig ist es wichtig, dass man sich selbst kritisch hinterfragt, ob man über so eine lange Zeit hinweg an einer Arbeit schreiben möchte und kann. Ich glaube, manche werden von den falschen Gründen angetrieben eine Dissertation zu schreiben. Es ist womöglich mit das schwierigste hier ehrlich zu sich selbst zu sein – das ist ein Prozess und braucht Zeit. Entscheidend, aber zuweilen unterschätzt, ist die Wahl des Betreuers/der Betreuerin. Mit diesem Menschen sollte man wirklich gut zusammenarbeiten können, denn das tut man nicht nur über einen langen Zeitraum hinweg, sondern man ist auch abhängig von dieser Person – das will ich nicht verschweigen. Ich kenne viele Projekte, die gescheitert sind, weil es zwischenmenschlich nicht harmonierte. Ich habe mir sehr lange überlegt, bei wem ich meine Doktorarbeit schreibe, und habe mich letztendlich für den Professor entschieden, bei dem ich bereits meine Masterarbeit geschrieben hatte. Die Katze im Sack haben wir mit dieser Entscheidung also beide nicht gekauft: Nicht nur passte mein Doktorvater zu mir, sondern auch ich zu meinem Doktorvater. Wir haben diese Entscheidung also beide getroffen.

Welche Schritte stehen für Sie als nächstes an?

Irion: Ich werde die Verschriftlichung vorantreiben. Es ist wichtig für mich einen sichtbaren Output zu generieren. Dann habe ich einige Vorträge auf Konferenzen, auf die ich mich beworben habe und die vorbereitet werden müssen. Ich möchte nun in der zweiten Phase meiner Promotion stärker an die Öffentlichkeit gehen und mein Thema auch außerhalb der LMU an anderen Universitäten vorstellen. Nächstes Jahr werde ich selbst eine Konferenz ausrichten, um mein eigenes Profil zu schärfen und darüber hinaus mit einer geschätzten Kollegin einen Aufsatz veröffentlichen. Ein paar punktuelle Nachrecherchen in den Archiven stehen für das nächste Jahr auch noch an. Im Nachhinein stellt man immer fest, dass man die eine entscheidende Seite einer Akte doch nicht fotografiert hat. Ab Sommer nächsten Jahres mache ich dann die reine Verschriftlichung. Mein Ziel wäre es Mitte 2024 abzugeben.

Was planen Sie nach der Promotion? Sie haben immer mal wieder die Habilitation und eine weiterführende wissenschaftliche Karriere erwähnt. Ist das Ihr Ziel?

Irion: Es fällt mir schwer auf diese Frage zu antworten, nicht, weil ich mir keine Gedanken gemacht hätte, sondern, weil ich gelernt habe, dass sich vieles erst im Laufe der Zeit ergibt. Aktuell liegt mein Fokus darauf eine gute Dissertation zu schreiben, weil sich dadurch bereits Türen öffnen oder eben schließen werden. Es ist in Deutschland nun einmal so, dass Professuren auf Lebenszeit vergeben werden. Wenn es in meinem Bereich zwei oder drei Professuren gibt und die sind gerade vergeben worden, kann ich noch so gut sein, wie ich will, dann kriege ich keine Stelle. Es ist zwar ein Werdegang, der für mich reizvoll wäre, aber es ist auch schwierig und vor allem mit viel Unsicherheit behaftet. Ich bin deshalb offen etwas anderes zu machen. Es reizt mich ebenfalls in der Politikberatung oder im politischen Betrieb, zum Beispiel als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Ministerium oder bei der Europäischen Union, tätig zu sein. Das wäre für mich aktuell eine gleichrangige Alternative. Ich habe das Thema meiner Dissertation bewusst so gewählt, dass es mir auch außerhalb des akademischen Bereichs Anschlussfähigkeit für Beschäftigungsmöglichkeiten bietet.

Das Gespräch führte Redakteurin Carolin Heilig am 31.10.2022.

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