Wissenschaftszeitvertragsgesetz verursacht Zeitdruck

Wissenschaftszeitvertragsgesetz setzt Nachwuchswissenschaftler:innen unter Druck

Wissenschaftszeitvertragsgesetz – nur die deutsche Sprache kann eine solch bedrohlich klingende Aneinanderreihung von Wörtern hervorbringen. Aber was verbirgt sich hinter diesem monströsen Begriff, welchen Einfluss hat das Gesetz auf das Leben und Arbeiten von Doktorand:innen und Post-Docs und ist eine baldige Änderung der Inhalte in Sicht? Darüber soll dieser Artikel Aufschluss geben.

Warum gibt es das Wissenschaftszeitvertragsgesetz?

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) wurde 2007 eingeführt und regelt grundsätzlich die Befristung von Arbeitsverträgen für wissenschaftliches und künstlerisches Personal an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das Gesetz wurde begründet durch die Notwendigkeit einer Rotation in der Forschung, um nachfolgenden Generationen von Forscher:innen den Eintritt in die Wissenschaft zu ermöglichen und dadurch neue Gedankenimpulse zu setzen. Der deutsche Hochschulverband betont hierzu: „Warnungen vor Verstopfung der Karrierewege und geschmälerten Zukunftsaussichten nachfolgender Generationen hätten ihre Berechtigung. Zukunftsperspektiven in einem hoch dynamischen und von Wettbewerb und Vielfalt geprägten System wie der Wissenschaft könnten nur erhalten bleiben, wenn hinreichend Fluktuation und Flexibilität bestünden“.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG)
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG)

Wissenschaftszeitvertragsgesetz – Welche Problematik ergibt sich für Nachwuchswissenschaftler:innen?

Die vorgeschriebene Befristung der Arbeitsverträge und die daraus resultierende Flexibilität, zu der junge Wissenschaftler:innen gezwungen sind, stößt vielfach auf Kritik. Für ihre sogenannte Qualifikationszeit stehen Doktorand:innen maximal sechs Jahre zur Verfügung, dann muss die Promotion spätestens abgeschlossen sein, beziehungsweise gibt es dann keine Möglichkeit mehr befristet als Doktorand:in beschäftigt zu werden. Nachfolgend sind nochmals sechs Jahre für die Phase des Post-Docs vorgesehen. Insgesamt darf die Qualifikationszeit eine Dauer von zwölf Jahren nicht überschreiten.

Wenn man die Promotionszeit in weniger als sechs Jahren absolviert, kann man die Post-Doc-Phase entsprechend verlängern. Auch befristete Anstellungen als wissenschaftliche Hilfskraft zählen zur Qualifikationszeit. Man muss sich also frühzeitig entscheiden und loslegen, wenn man eine Promotion in Betracht zieht. Lediglich die Arbeit als studentische Hilfskraft zählt nicht zur Qualifikationszeit. Hat es innerhalb dieser zwölf Jahre nicht mit einer unbefristeten Stelle oder einer Professur geklappt, gilt die universitäre Laufbahn als beendet, da keine erneute befristete Anstellung mehr möglich ist. Die einzige verbleibende Option, um dann weiterhin in der Wissenschaft bleiben zu können, sind Drittmittel, deren Einwerbung allerdings viel Zeit kostet und ebenfalls alles andere als sicher ist.

Doktorandin berichtet von psychischem Druck aufgrund der befristeten Arbeitsverhältnisse

Im Gegensatz zur maximalen Befristungsdauer macht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz keine Vorgaben zu einer Mindestlaufzeit von Verträgen, was dazu führt, dass Arbeitsverträge in der Realität meist noch kürzer befristet sind als es das Gesetz maximal erlauben würde. Laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 (S. 115) sind die Verträge von Promovierenden im arithmetischen Mittel auf 22 Monate, und die Verträge von Post-Docs auf 28 Monate begrenzt, was weder ausreichend Zeit ist, um eine Dissertation, geschweige denn eine Habilitation, anzufertigen. Diese Zahlen gehen allerdings auf das Jahr 2016 zurück. Eine neuere Erhebung aus dem Jahr 2019 besagt, dass die durchschnittliche Vertragslaufzeit von Promovierenden nun 27 Monate betrage, wobei jeder vierte nur einen Vertrag über maximal 12 Monate hat (Buwin, 2021, S. 116). So oder so, Doktorand:innen und Post-Docs haben dementsprechend nur wenig finanzielle Sicherheit und sind zudem zu häufigen Umzügen gezwungen, was eventuell eine Partnerschaft oder die Familienplanung erheblich erschwert. Einige Promovierenden geben sogar die Regularien des WissZeitVG und die daraus resultierende, fehlende Sicherheit als Grund an, dass sie die Wissenschaft spätestens nach Abschluss der Doktorarbeit verlassen wollen, was zu einem Verlust von Wissen und Potential führt.

Diana Kalbas, Doktorandin der Biochemie an der Martin-Luther-Universität in Halle, betont, dass die Befristung gerade für Frauen problematisch sei: „Der psychische Druck ist eine komplette Katastrophe, weil die Konzentration für die eigene Arbeit dann auch fehlt. Ab einem gewissen Alter will man sesshaft werden aber gerade für Frauen in der Forschung ist das schwierig. So wie die universitären Strukturen aktuell sind, sind sie immer noch sehr gebärendenfeindlich. Die Frage, wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Kind, kreist immer um einen herum, gerade durch die befristeten Stellen“.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) verursacht häufig psychischen Druck bei Doktorand:innen

Verspricht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auch irgendwelche Sicherheiten?

Dennoch macht das Gesetz, zumindest in der Theorie, einige Zugeständnisse beispielsweise an Promovierende mit Kind. So hat man je Kind Anspruch auf zwei zusätzliche Jahre Qualifikationszeit – seit einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2016 sogar für die Betreuung von Stief- und Pflegekindern – und Unterbrechungen der wissenschaftlichen Arbeit, wie zum Beispiel im Rahmen von Elternzeit, werden nicht auf die zur Verfügung stehende Qualifikationszeit angerechnet.

Problematisch ist an dieser Stelle aber, dass die zusätzlichen Jahre für die Qualifikation lediglich eine Option für Universitäten und Hochschulen sind die Arbeitsverträge ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen entsprechend zu verlängern; die Arbeitgeber:innen müssen dies aber nicht tun. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft spricht diesbezüglich von einer „Mogelpackung“. Nils Vief promoviert an der Universität Marburg und hat eine kleine Tochter. Im Interview mit hochschul-job.de berichtet er von seinen Erfahrungen. Zur Verlängerung der Qualifikationszeit und deren Übertragung in die berufliche Praxis sagt er folgendes: „Eine Änderung, die wirklich allen Menschen helfen würde, wäre die Vertragsverlängerung, die einem ja laut Wissenschaftszeitvertragsgesetz zusteht, zu einer automatischen Muss-Regelung zu machen.“

Junge Wissenschaftler:innen kämpfen für bessere Arbeits- und Vertragsbedingungen

Bereits 2016 wurde eine erste Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz angestoßen, da Verträge zuvor sogar auf ein Jahr oder noch weniger befristet waren und die Arbeitssituation von Nachwuchswissenschaftler:innen dementsprechend noch prekärer war als heute. Die Novelle des WissZeitVG besagt nun, dass „[d]ie vereinbarte Befristungsdauer [ ] jeweils so zu bemessen [ist], dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist“ (WissZeitVG §2 Absatz 1).

Allerdings bleibt ein beträchtlicher Auslegungsspielraum darüber, welche Dauer für die jeweilige Qualifikation angemessen ist, was weiterhin zu kurz befristeten Verträgen führt. Zudem definiert das WissZeitVG nicht eindeutig, was unter Qualifikation zu verstehen ist, für wen die Vorgaben zur Befristung demnach gelten und welche Ziele während der Beschäftigungsdauer genau erreicht werden müssen. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft erklärte nach der ersten Änderung des Gesetztes, dass Wissenschaftler:innen zwar immernoch nicht zufrieden sein könnten, weil beispielsweise auf die Festsetzung einer Mindestvertragslänge von drei Jahren verzichtet wurde, die Novelle aber dennoch zu einer Verbesserung der Situation führe.

Wie geht es nun mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz weiter?

Immer wieder starteten Nachwuchswissenschaftler:innen Initiativen, um auf ihre prekären Arbeitsumstände aufmerksam zu machen. Unter dem Hashtag #ichbinhanna nahm die Diskussion um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erneut Fahrt auf. Anlass war ein 2021 veröffentlichtes Video vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, in dem die fiktive Biologin Hanna erklärt, welche Vorteile das WissZeitVG für junge Wissenschaftler:innen mit sich bringe. Unter #ichbinhanna berichteten nachfolgend zahlreiche Betroffene in den sozialen Medien von ihren problematischen Arbeitserfahrungen im Mittelbau, um deutlich zu machen, wie groß die Unterschiede zwischen der Realität und der Darstellung im Video sind.

Sicher nicht zuletzt wegen dieser öffentlichkeitswirksamen Bewegung, nahm sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter Leitung der neuen Ministerin Bettina Stark-Watzinger in diesem Jahr erneut des Themas an. Zuerst wurde eine Evaluation des WissZeitVG vorgenommen und die generierten Ergebnisse sodann im Zuge einer Konferenz vorgestellt und diskutiert. Das Fazit lautete, dass sich seit der ersten Novelle im Jahr 2016 kaum etwas an den Arbeits- und Vertragsbedingungen von Nachwuchswissenschaftler:innen verbessert habe und es in der Realität teilweise sogar zu Verstößen gegen das geltende Gesetz komme. So wurde zum Beispiel im Rahmen der Evaluation festgestellt, dass Drittmittelprojekte oft länger bewilligt sind als die zugehörigen Arbeitsverträge der beschäftigten Forscher:innen laufen, obwohl die Novelle des Wissenschaftszeitgesetzes vorschreibt, dass die Verträge von Beschäftigten, die großteils durch Drittmitteln finanziert werden, zwar befristet sein dürfen aber „die vereinbarte Befristungsdauer [ ] dem bewilligten Projektzeitraum entsprechen“ soll (WissZeitVG §2 Absatz 2).

Eine weitere Neufassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in bereits in Arbeit

Nun soll im Laufe des Jahres eine neuerliche Novelle des WissZeitVG ausgearbeitet werden, die insbesondere mehr Planbarkeit ermöglicht und die Befristungen während der Post-Doc-Phase reduzieren soll. Der deutsche Hochschulverband sprach sich zuletzt deutlich gegen eine ersatzlose Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetz aus, da sonst eine „Verstopfung der Karrierewege“ drohe. Dennoch müsse durch eine Modifikation des Gesetzes dem Bedürfnis junger Wissenschaftler:innen nach mehr Sicherheit nachgekommen werden.

Andere Länder, wie die USA, die Schweiz oder Skandinavien bieten diese Sicherheit schon jetzt, was zu einer Abwanderung von Nachwuchsforscher:innen ins Ausland führt. Es bleibt also die Frage, was dem Innovationsgeist und dem Voranschreiten der deutschen Wissenschaft mehr schadet: Die Abwanderung kluger Köpfe oder die angebliche Verstopfung durch unbefristete Verträge? Jakob Rauscher, Sprecher der Helmholtz Juniors und Doktorand am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam, betont in einem Plädoyer für eine Reform des Befristungsrechts folgendes: „Wissenschaft ist nicht zuletzt Denkarbeit, Experimentieren und kritisches Hinterfragen. Doch das braucht Zeit ‒ und lässt sich mit Hektik und Zukunftsangst nur unter Qualitätsverlusten und Selbstausbeutung verbinden“. Die unmittelbar Betroffenen sehen die Lösung bereits vor sich, brauchen aber nun die Kooperation der Politik für eine entsprechende Umsetzung und Verbesserung der Arbeitssituation.

Von Carolin Heilig

Karriere Allgemein, Karriere und Wissenschaft