Karriere in der Wissenschaft – Wie wird man erfolgreich?

Dr. Reinhold Haller, 66, arbeitet als Karrierecoach in der Wissenschaft und Forschung. Aktuell befindet er sich für seine jährliche Kreativauszeit auf einer Insel im Süden Thailands. Im Interview mit hochschul-job.de verrät er, welche Hindernisse es in der Wissenschaft gibt, warum die Wissenschaft nicht für jeden/jede die geeignete Berufslaufbahn darstellt, was die Karriere in der Wissenschaft mit einer Besteigung des Mount Everest zu tun hat, wie man seine life-balance verbessern kann und wie wichtig Pausen, auch für ihn selbst, sind.

Herr Dr. Haller, Sie haben an der Technischen Universität Berlin promoviert. Wie erinnern Sie sich an Ihre eigene Promotionszeit?

Haller: Ich habe nebenberuflich promoviert. Ich hatte an der Freien Universität Berlin eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter im medizinischen Bereich, konnte dort als Nicht-Mediziner aber nicht promovieren. Deshalb habe ich an der Technischen Universität Berlin promoviert. Das war eine Herausforderung, denn ich hatte einen full-time Job an der Universität und musste nebenher promovieren. Ansonsten würde ich sagen, ist das sehr gut gelaufen. Mein Thema habe ich selbst ausgewählt und dann die passenden Betreuer dazu gesucht. So konnte ich frei und selbstständig arbeiten. Wo ich Unterstützung und Hilfe brauchte, habe ich diese bekommen. Das kann man nicht bei allen Promovierenden so feststellen. Viele klagen über eine mangelnde Betreuung. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter hatte ich mit den üblichen Schwierigkeiten, vor allem mit befristeten Verträgen, zu kämpfen.

Karrierecoach Dr. Haller – Foto: Privat

Manchmal wusste ich im November nicht, ob es im Januar mit den Drittmitteln weitergeht, die ich dann auch noch selbst einwerben musste. Diese Unsicherheit und Ungewissheit, darüber wann und wie es weiter geht, bestand bereits zu meiner Zeit. Die Zahl der entfristeten Stellen war damals schon sehr gering. Ich selbst wollte nicht die höchsten Grade der wissenschaftlichen Karriere erreichen und mich habilitieren oder Hochschullehrer werden. Dennoch fand ich die Arbeit im wissenschaftlichen Umfeld sehr erfüllend. Ich habe das gerne gemacht und auch viel gelernt in dieser Zeit. Letztlich war der Grund für meinen Ausstieg aus dem wissenschaftlichen Umfeld, dass ich elf Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet hatte und zwölf Jahre schon damals die Obergrenze waren. Ich habe dann zu meiner ersten Dauerstelle im Wissenschaftsbereich zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik gewechselt und dort den Bereich Personalentwicklung geleitet.

Was treibt Sie heute in Ihrer Coaching-Tätigkeit an?

Haller: Ich habe Erziehungswissenschaften und Psychologie studiert, daher war mein Interesse an diesen Themen und auch an der Erwachsenenbildung bereits ausgeprägt. Meine letzte Beschäftigung an der Universität lag im Bereich der pädagogischen Koordination. Dort habe ich das medizinische Fachpersonal und die Lehrpersonen weitergebildet. Ich war also bereits dort im weitesten Sinne in der Personalentwicklung tätig und es war für mich eine Chance den Schritt zum Wissenschaftsmanagement zu machen. Was mich antreibt ist die Arbeit in der Wissenschaft oder für die Wissenschaft. Das ist wahnsinnig spannend und interessant. Es spornt mich an mit den Niederungen umzugehen, die mit dem wissenschaftlichen Arbeiten verbunden sind, die Hindernisse und Widerstände, die sich für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen ergeben, zu erkennen und die internen Regeln zu verstehen. Erst wenn man in der Wissenschaft tätig ist, wird einem klar, welche Regelwerke, welche ungeschriebenen Gesetze dort gelten, welche Bedingungen man zu beachten hat und welche Möglichkeiten sich einem erschließen oder eben möglicherweise verschlossen bleiben. Das zu sehen und anderen dabei zu helfen, dies zu bewältigen und trotz aller Hindernisse, die damit verbunden sind, erfolgreich in der Wissenschaft zu bleiben, treibt mich an.

Welche Hindernisse ergeben sich denn in der Wissenschaft?

Haller: Das eine ist alles, was unter dem Hashtag #ichbinhanna läuft. Da wird Bezug genommen auf die Rahmenbedingungen, auf das Wissenschaftszeitarbeitsgesetz und auf die Unsicherheit, die mit einer Karriere in der Wissenschaft und mit der beruflichen Entwicklung einher geht. Es ist gut, dass diese Zustände öffentlich gemacht wurden, damit sich da zumindest ein bisschen was bewegt. Das andere große Hindernis ist, dass nur für etwa 15 von 100 Menschen, die in das System eintreten, auf Dauer Platz in der Wissenschaft ist. Die Wissenschaft ist sehr kompetitiv. Daher muss man für sich selbst klar reflektieren, inwieweit man das will und, inwieweit man dem gewachsen ist. Es gibt Menschen, die neigen dazu sich und ihr Können ständig zu unterschätzen. Geschlechtsspezifisch sind davon meiner Erfahrung nach mehr Frauen betroffen. Der andere Fehler, den man machen kann, ist sich selbst zu überschätzen. Es kann hilfreich sein, durch ein Coaching ein stückweit objektiviert herauszufinden, wie die eigenen Chancen sind, was man mitbringt und was vielleicht auch fehlt.

Infobox #ichbinhanna

Unter dem Hashtag #ichbinhanna berichten Nachwuchswissenschaftler:innen von den Prekaritäten ihres Arbeitsalltages, welche vordergründig auf den Regularien des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beruhen, um so öffentlich auf die Probleme des wissenschaftlichen Betriebs aufmerksam zu machen. Anlass für die Kampagne war ein 2021 veröffentlichtes Video vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, in dem die fiktive Biologin Hanna erklärt, welche Vorteile das WissZeitVG für junge Wissenschaftler:innen mit sich bringe. Unter #ichbinhanna berichteten nachfolgend zahlreiche Betroffene in den sozialen Medien von ihren problematischen Arbeitserfahrungen im Mittelbau, um deutlich zu machen, wie groß die Unterschiede zwischen der Realität und der Darstellung im Video sind. Wenn Du mehr zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz, den Auswirkungen auf die Arbeit von Nachwuchswissenschaftler:innen und Reaktionen auf die Beschwerden lesen willst, dann findest Du hier den passenden Artikel.

Karriere in der Wissenschaft – Welche Werte sind mir wichtig?

Wie setzen Sie den Aspekt der Selbstreflexion im Coaching um? 

Haller: Es gibt Selbsttests und Analysen, mit denen man herausfinden kann, welche inneren Werte man hat und was die eigenen Motivations- und Antriebsanker sind. Im Coaching nutze ich teilweise das Testverfahren des Bochumer Persönlichkeitsinventars. Das ist ein Testverfahren, mit dem man anhand von 210 standardisierten Fragen testen kann, wie man in verschiedenen Bereichen, die für die Arbeit wichtig sind, aufgestellt ist und was man mitbringt. Wichtig ist herauszufinden, was die Werte sind, die mich antreiben. Wenn man beispielsweise feststellt, einer meiner Werte ist Sicherheit, dann stellt sich die Frage, ob man sich mit dieser Grundeinstellung in der Wissenschaft wohlfühlen wird. Darüber hinaus muss man für sich herausfinden, ob man bereit ist, sich dem Wettbewerb zu stellen und, ob man Spaß daran hat sich zu behaupten. Bin ich der Typ, der gerne auf dem Siegertreppchen steht und bereit ist, dafür viel zu tun, oder habe ich eher andere Interessen und Verpflichtungen, wie eine Familie, und möchte gerne einen nine-to-five-Job haben? Letzteres ist in der Wissenschaft häufig nicht umsetzbar. Gerade in den Natur-, Lebens- und Biowissenschaften finden Untersuchungen, Tests und Studien auch in den Abendstunden oder am Wochenende statt, sodass man bereit sein muss, sehr flexibel zu sein und für längere Zeit den Lebensschwerpunkt auf die Arbeit zu setzen.

Kann es auch sein, dass sich aus einem Coaching ergibt, dass die Wissenschaft nicht die geeignete Berufslaufbahn darstellt?

Haller: Die klassische wissenschaftliche Laufbahn von der Promotion über die post-doc-Phase und eine etwaigere Habilitation ist sehr herausfordernd. Daher ist es mitunter hilfreich, einen Plan B in der Hand zu haben und sich zu überlegen, was ich denn sonst noch gerne mache. Welche verwandten Arbeitsfelder passen zu meinen Vorlieben und Talenten? Ich muss mir nicht überlegen, möchte ich Wissenschaftler:in sein oder möchte ich einen Fahrradladen oder einen Weinhandel betreiben. Das muss nicht so weit auseinander liegen. Man sollte sich fragen, wie man die eigenen Kompetenzen auf einen wissenschaftsnahen Beruf anwenden kann.

Nehmen Sie wahr, dass sich die Sorgen und Widerstände, mit denen Wissenschaftler:innen konfrontiert sind, unterscheiden, je nach dem in welcher Qualifikationsstufe diese sind?

Haller: Ja natürlich! Von 100 Personen werden etwa 15 bis 20 da ankommen, wo sie hinwollen; vorausgesetzt, sie wollen tatsächlich in der Wissenschaft bleiben. Aber die Anforderungen werden immer größer. Außerdem macht sich eine Zunahme der Konkurrenz bemerkbar. In manchen Fachbereichen ist es recht unkompliziert eine post-doc-Stelle zu bekommen, beispielsweise in den Naturwissenschaften, wie der Physik. In den Fachbereichen der Geisteswissenschaften wird es schon viel schwerer eine entsprechende Stelle zu erlangen, weil der Wettbewerb einfach größer ist. Auch für die Habilitation nehmen die Anforderungen deutlich zu. Man muss nicht nur gute Forschung betreiben, sondern man muss auch gut publizieren können. Man muss aber auch nicht nur gut publizieren können, sondern ist auch in der Lehre gefragt. Also die Messlatte wird immer höher und da wird es dann für viele einfach eng.

Karriere in der Wissenschaft – Vorsicht vor der Illusion

Halten Sie dieses sehr kompetitive System für gewinnbringend?

Haller: Das hat zwei Seiten. Einerseits ist es verständlich, dass Universitäten oder auch außeruniversitäre Forschungsinstitute sagen, sie wollen nur die Besten für Wissenschaft, Forschung und Lehre, weil man schließlich auch den Studierenden und den Steuerzahler:innen etwas schuldig ist. Wenn ich ein kleines Geschäft hätte, würde ich auch nur die Besten als neue Mitarbeiter:innen einstellen. Insofern hat es etwas Gutes, immer nur die Besten zu wollen. Andererseits kann dieses sehr kompetitive Auswahlverfahren auch zum Leidesweg werden, wenn man nicht eine Ausnahmeerscheinung ist und auf allen Ebenen die passenden Talente mitbringt. Ich begleite immer wieder Menschen im Coaching, die sich in verschiedenen Stadien der wissenschaftlichen Karriere fragen ‚Ist es das eigentlich?‘. Ich habe dazu ein Kapitel in meinem neuen Buch ‚Die Entscheidung. Ein Ratgeberroman über akademische Berufswege‘ verfasst und es mit dem Titel ‚Der Professor auf dem Mount Everest‘ überschrieben. Die Metapher, die dahinter steckt, ist folgende: Manche Leute wollen unbedingt auf den Mount Everest. Viele stellen es sich so vor, dass man oben auf dem Himalaya steht, das Panorama genießt oder ein Foto vom Sonnenuntergang macht aber jeder/jede, der/die sich bereits mit einer Bergsteigung beschäftigt hat, weiß, so ist das in der Realität nicht. Da oben ist die Luft sehr dünn, es ist kalt, es ist oft neblig und die Wolken hängen tief. Man sieht unter Umständen die Hand vor Augen nicht. Diese Metapher nutze ich manchmal für die berufliche Entwicklung in der Wissenschaft. Ich kenne Professor:innen, die sagen, sie hätten sich das Dasein als Hochschullehrer:innen anders vorgestellt, mit mehr Freiheiten und weniger administrativen Aufgaben, Bürokratie und Management. Zur eigentlichen Wissenschaft kommt man dann gar nicht mehr. Sie hatten also eine Wunschvorstellung im Kopf aber die Wirklichkeit lässt sich daran nicht messen. Dann geht es darum eine Änderung der Situation vorzunehmen. Entweder eine Änderung erster Ordnung, mit der ich versuche, die Situation, in der ich mich befinde, so zu verändern, dass sie für mich besser ist. Oder ich nehme eine Änderung zweiter Ordnung vor und beginne etwas ganz anderes.

Sehen Sie es auch als Ihre Aufgabe im Coaching ein realistisches Bild der Wissenschaft zu vermitteln?

Haller: Ich möchte den Menschen, die ich coache, kein Bild vermitteln, sondern ich möchte, dass sie sich und ihre Person möglichst realistisch sehen und das ist bei jedem unterschiedlich. Das Coaching ist ein gemeinsamer Prozess und meine Aufgabe als Coach ist es, gute Fragen zu stellen, die sich der Klient/die Klientin vielleicht noch nicht gestellt hat und tools einzubringen, mit denen sich die Klient:innen das Leben einfacher machen können. Wie kann man beispielsweise ein bisschen mehr life-balance herstellen, sodass auch Zeit für Familie und Partner:in bleibt? Dazu muss man sich einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verschaffen. Ein Beispiel ist das Thema delegieren. Viele senior scientists oder Hochschullehrer:innen können schlecht delegieren, weil sie schlecht loslassen können. Das sind Dinge, die man aber lernen und lehren kann. Also an dieser Stelle lassen sich gute Lösungen erster Ordnung herbeiführen. 

Karriere in der Wissenschaft – Pausen und Auszeiten sind wichtig

Welche Strategien gibt es denn um die life-balance zu verbessern oder überhaupt herzustellen?

Haller: Es ist erst einmal wichtig eine Bestandsaufnahme zu machen. Wofür brauche oder verbrauche ich Zeit und wozu fehlt mir Zeit? Diese Faktoren sollte man sich ansehen und prüfen, wie man sich ökonomischer aufstellen kann. Wenn man mit Menschen redet, die beruflich sehr aktiv sind, stellt man fest: Jeder Tag ist letztendlich für fast alle zu kurz. 24 Stunden reichen nicht aus. Aber Zeit ist die am gerechtesten verteilte Ressource dieser Welt, jeder/jede hat 24 Stunden am Tag. Jeder Mensch kann selbst entscheiden, wie er oder sie diese Zeit nutzt. Es ist die Aufgabe des eigenen Zeitmanagements, herauszufinden, was die Zeitdiebe und Zeitfallen sind, die viel Zeit kosten aber eigentlich nicht viel bringen. Diese Zeitdiebe sollte man durch bessere Organisation und eine bessere Planung der zur Verfügung stehenden Zeit eliminieren. Für wichtige Dinge, wie Familie oder Weiterbildungen, muss man sich Zeit nehmen. Damit komme ich auch zu dem Punkt, wie wichtig Pausen und Auszeiten sind. Wenn man Nobelpreisträger:innen oder Erfinder:innen fragt, wann ihnen ihre genialen Ideen kamen, wird keiner dieser Protagonist:innen sagen ‚Ich saß am Schreibtisch, habe ganz doll nachgedacht und dann kam die Idee‘. Gute Ideen oder neue Impulse kommen in Entspannungssituationen, am Strand, in der Badewanne oder rund um die Aufwachphase im Bett. Man braucht Pausen und Erholungszeiten. Ich mache einmal im Jahr für eine längere Zeit eine Kreativauszeit. Ich schnüre mir ein kleines Paket, schreibe ein neues Buch oder ein paar Artikel oder entwickle ein neues Beratungs-Format. In dieser Zeit gehört für mich als Freiberufler natürlich auch dazu, auf Einkommen zu verzichten.

Was macht für Sie persönlich ein gutes Coaching aus?

Haller: Erst einmal die Passung zwischen Coach und Coachee. Kennt sich der Coach/die Coach in dem Bereich aus? Hat er oder sie selbst genug Erfahrung? Wenn man beispielsweise Führungskräfte in der Wissenschaft coachen will, ist es nicht verkehrt oder beinahe unerlässlich, dass man selbst Erfahrung als Führungskraft gesammelt hat. Insofern hat ein guter Coach/eine gute Coach immer einen großen Erfahrungsschatz, auf den er oder sie zurückgreifen kann, einerseits durch eigene Erfahrungen und andererseits durch die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Coachees. Der Coach/die Coach muss gut zuhören können und braucht eine scharfe Wahrnehmung. Die Coachees hingegen müssen etwas über sich preisgeben und offen sein für neue Erkenntnisse, Impulse und Intuitionen. Das sind notwendige Voraussetzungen, um ein gutes Coaching zu starten. Im nächsten Schritt muss es gelingen, die Ziele und Inhalte des Coachings abzustimmen. Im Vordergrund steht dabei die Fragestellung ‚Wenn wir zehn Stunden Coaching miteinander haben, was soll danach anders sein? Was soll klarer sein? Soll ich mein Verhalten ändern? Brauche ich andere Erfahrungen oder neues Wissen?‘. Manchmal bin ich als Coach auch ein Wissensvermittler. Im Kern geht es immer um die drei Faktoren ‚Wissen, Verhalten und Haltung‘.

Sie arbeiten mit den Forschungsinstituten Max-Planck, Helmholtz und Leibniz zusammen. Wie laufen diese Zusammenarbeiten ab?

Haller: In der Regel haben die Forschungsverbände Coaching Pools. Um in diese aufgenommen zu werden, muss man sich bewerben. Das sind richtige Vergabeverfahren. Wenn dann jemand nach einem Coaching sucht, kann er oder sie aus dem Pool jemanden wählen, mit dem es passen könnte. Dann macht man in der Regel einen unverbindlichen Kennenlerntermin aus. Wenn beide Seiten die Passung bestätigen, wird ein Vertrag über ein gewisses Kontingent von in der Regel acht bis 15 Stunden geschlossen.

Coaching ist eine Investition in sich selbst

Wie sollen sich Doktorand:innen, die in der Regel eher über ein geringes Einkommen verfügen, ein solches Coaching leisten können?

Haller: Doktorand:innen sollten erst einmal schauen, ob es ein Doktorand:innenkolleg oder andere Programme gibt, die Unterstützung anbieten. Es gibt durchaus PHD-Programme, die ein paar Coaching-Stunden finanzieren. Es gibt auch sehr gute Maßnahmen, in denen ein sogenanntes peer-coaching angeboten wird. Dann ist man in einer Gruppe mit Gleichgesinnten und Gleichbetroffenen und man kann von anderen lernen, wie sie erfolgreich Probleme gelöst haben. Diese Formate helfen auch, um neue Leute kennenzulernen und ein Netzwerk aufzubauen. Teilweise ist ein Profi-Coach zugegen, der das Ganze nochmals von außen bereichert. Es gibt natürlich auch immer die Möglichkeit für Doktorand:innen oder junge Post-Docs zum Chef oder zur Chefin zu gehen und zu fragen, ob zur Verfügung stehende Sachmittel für ein Coaching eingesetzt werden können. In letzter Konsequenz bleibt aber nichts anderes übrig als das Coaching selbst zu bezahlen. Wobei ich sage, die meisten Doktorand:innen und erst recht die Post-Docs haben zwar kein fundamental großes Einkommen aber die Kosten für ein kurzes, intensives Coaching sehe ich dann auch als summenmäßig überschaubare Investition in sich selbst.

Welche Rolle spielt Netzwerken und die Fähigkeit sich selbst zu verkaufen für eine Karriere in der Wissenschaft? Reicht es aus nur‘ fachlich sehr gut zu sein?

Haller: Ich benutze manchmal auch den Begriff ‚sich verkaufen‘, obwohl ich ihn nicht mag, denn wir sind ja keine Verkäufer:innen. Aber was in der Wissenschaft sehr wichtig ist, ist Sichtbarkeit. Was nützt es mir, wenn ich gut bin, aber keiner weiß davon? Ich brauche Stellen, ich brauche Angebote, ich brauche Leute, die mir Geld geben, damit ich Forschung betreiben kann. Das werden sie nur machen, wenn sie wissen, da ist jemand, die/der kann was, die/der macht was, ist fruchtbar und trägt zur wissenschaftlichen Wertschöpfung bei. Das heißt, ich muss mich mit dem, was ich tue, sichtbar machen. Wissenschaft lebt von Kooperationen. Daher muss man in der Lage sein, solche Kooperationen einzugehen und Netzwerke aufzubauen. Zu Netzwerken gehört aber nicht nur, dass man selbst davon profitiert, sondern auch, dass man selbst etwas dazu beiträgt. Netzwerken und Sichtbarkeit sind wichtige Dinge. Dazu muss ich nicht die Rampensau sein, die vor 1.000 Leuten steht und auf einem science slam für Lacher und Beifall sorgt. Auch introvertierte Menschen können Sichtbarkeit erzeugen über sehr gute Publikationen oder einen guten Internetauftritt. Aber ohne Sichtbarkeit geht es nicht. Die Fähigkeit, anderen deutlich zu machen, wie interessant das ist, was man tut, ist existenziell für alle Wissenschaftler:innen.

Wie wird man in der Wissenschaft langfristig erfolgreich?

Haller: Wissenschaft ist sehr spannend, aber es gibt viele Menschen, die mit einer übertriebenen Naivität da ran gehen. Nach dem Motto: Das ist spannend, mir macht das Spaß, es gibt so viele interessante Menschen und Themen und Chancen, die sich eröffnen, und dann in dieses System einsteigen, ohne es zu kennen. Ich vergleiche das in meinem neuen Buch mit Alexander von Humboldt. Er ist auch nicht einfach nach Südamerika aufgebrochen, sondern hat sich intensiv darauf vorbereitet, was ihn erwarten würde. Deshalb empfehle ich: ‚Interessiert Euch für die Wissenschaft, seht die Reize und was die Wissenschaft Faszinierendes zu bieten hat aber seid nicht naiv, sondern bevor ihr einen Schritt vor den nächsten tut, lernt dieses System ein bisschen besser kennen‘. Man sollte die Möglichkeiten des Systems kennen aber auch systemimmanente Probleme sehen, um nicht an ihnen zu scheitern. Auch Coaches können nicht jedes Problem lösen. Ich sage dann immer ‚ich bin Coach und nicht Harry Potter.‘ Coaches sind keine Zauberer:innen.

Das Gespräch führte Redakteurin Carolin Heilig am 20.12.2022.

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