Prof. Dr. Vera Taube, Professorin für Erziehungswissenschaft in der Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Würzburg/Schweinfurt – Foto: Danica Photogra

Promovieren in der Sozialen Arbeit – Spannungsfeld zwischen Praxis und Professur

Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. […]
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so definiert der Deutsche Bundesverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH) den Begriff der Sozialen Arbeit

Im Wintersemester 2022/2023 entschlossen sich 84.051 Studierende hinter die Kulissen dieser Definition zu blicken und machten die Soziale Arbeit damit zum achtbeliebtesten Studienfach hinter der Betriebswirtschaftslehre, der Informatik, der Rechtswissenschaft, der Psychologie, der Medizin, den Wirtschaftswissenschaften und dem Maschinenbau. Im Ranking der am stärksten von weiblichen Studierenden besetzten Fächern schaffte es die Soziale Arbeit im Wintersemester 2022/2023 mit 64.733 Studentinnen nach der Betriebswirtschaftslehre, der Psychologie, der Medizin und der Rechtswissenschaft sogar auf Platz fünf.

Soziale Arbeit wird in der Regel an einer Hochschule studiert, welche auf einen Weg in die Praxis abzielt. Warum aber ein weiterer Gang in die Wissenschaft und eine Promotion ebenso spannend sein können, zeigt dieser Artikel auf.

Im Vergleich zu Universitäten, die die theoretische Fundierung eines Faches in den Blick nehmen, ergänzen Hochschulen diese um die praktische Anwendung des Erlernten.

Prof. Dr. Vera Taube, Professorin für Erziehungswissenschaft in der Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Würzburg/Schweinfurt
Prof. Dr. Vera Taube, Professorin für Erziehungswissenschaft in der Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Würzburg/Schweinfurt – Foto: Danica Photography

In der Regel findet sich für jeden Studiengang einer Universität ebenfalls ein Pendant an einer Hochschule, sodass der gewünschte Fokus selbst gewählt werden kann und somit auch immer eine Promotion möglich ist. Der Studiengang der Sozialen Arbeit bildet allerdings die Ausnahme: „Das größte Problem an der Promotion in der Sozialen Arbeit ist, dass wir keine direkte Entsprechung an einer wissenschaftlichen Universität haben“, erklärt Prof. Dr. Vera Taube. Sie ist Professorin für Erziehungswissenschaft in der Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule in Würzburg/Schweinfurt und Sozialarbeiterin.

Promovieren erfordert generell viel Eigeninitiative, Organisation und Planungskompetenz. Die Soziale Arbeit verlangt Promotionswilligen allerdings aufgrund der fehlenden Entsprechung an der Universität noch einmal etwas mehr ab: Doktorand:innen der Sozialen Arbeit promovieren fachfremd. Nach Abschluss des Masters müssen sie sich für eines der im Studium vorkommenden Bezugswissenschaften als Promotionsdisziplin entscheiden. „Man muss sich auf ein Fach spezialisieren, in dem man aber nicht so massiv viel Vorwissen hat, dass man mit Herz und Verstand sagen kann ‚Jawohl, in dem Fach promoviere ich’“, erläutert Prof. Dr. Vera Taube.

Zusätzlich müssen promotionsinteressierte HAW-Absolvent:innen sich an einer Universität eine professorale Betreuung suchen oder direkt dorthin wechseln. Dadurch würden vor allem die Netzwerke mit Gleichgesinnten fehlen, die man an der HAW aufgebaut habe, an der Universität dann aber nicht mehr vorhanden seien. „Man muss sich in der Betreuung auf jemanden vollkommen Neues einlassen, den man nicht kennt. Man weiß wenig über die Person und vorher meistens nicht, ob sie zu einem passt. Wie gestaltet diese Person Promotionsförderung? In welchen Theorien verortet sich die Professur genau?“, ergänzt Dr. phil. Monique Ritter. Sie ist Vertretungsprofessorin im Studiengang Soziale Arbeit an der Fakultät Sozialwisschenschaften der Hochschule Zittau/Görlitz, sowie Mitglied des TRAWOS-Forschungsinstitut. Dort organisiert sie Veranstaltungen zur Promotionsförderung. Zusammen mit Prof. Dr. Vera Taube sitzt sie außerdem in der Redaktion der Promotionsrundmail der DGSA, die Absolvent:innen einer Fachhochschule über die Möglichkeiten des Promovierens informiert.

Dr. phil. Monique Ritter, Vertretungsprofessorin im Studiengang Soziale Arbeit an der Fakultät Sozialwissenschaften der Hochschule Zittau/Görlitz
Dr. phil. Monique Ritter, Vertretungsprofessorin im Studiengang Soziale Arbeit an der Fakultät Sozialwissenschaften der Hochschule Zittau/Görlitz – Foto: Jens Freudenberg

Recherchieren, lesen, vernetzen – Einstieg in die Promotion

Um Studierenden der Sozialen Arbeit den Einstieg in die Promotion zu erleichtern, wurde die Fachgruppe Promotionsförderung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) gegründet. Prof. Dr. Vera Taube ist seit etwa fünf Jahren Mitsprecherin der Gruppe. „Klassischer Weise betreuen und verleihen Universitäten Promotionen, auch wenn es sich um Promotionen von Menschen nach HAW-Abschluss handelt. In diesen Fällen treffen Promotionswillige allerdings oft auf Zugangshürden. Der Zugang zu einer Promotion ist mit viel Klinkenputzen, Informationssuche, Leute kennenlernen und auf die Gunst von anderen angewiesen sein verbunden. Da muss jemand an der Uni mein Thema und mich gut finden. Das sind so viele wenn’s, dass eine Promotion meistens nicht zustande kommt. Daraus ist die Idee erwachsen, dass man aus den eigenen Reihen der Sozialen Arbeit heraus Promotionsförderung betreiben muss, um die Lücke zwischen den Institutionen ein bisschen zu verringern“, legt Prof. Dr. Vera Taube die Motivation für die Fachgruppe dar.

Diese bietet strukturiert Zugang zu Informationsmaterialien und Ansprechpartner:innen. Außerdem findet einmal jährlich die sogenannte Vorkonferenz statt, bei der Promotionsinteressierte und Promovierende in der Sozialen Arbeit nach HAW-Abschluss zusammenkommen und sich austauschen können. Diese sei ein erster guter Schritt in Richtung Promotion. Neben dem Vernetzen und Austauschen empfiehlt Prof. Dr. Vera Taube für die Anfangsphase der Doktorarbeit: „Viel recherchieren und lesen. Zuhören und Fragen stellen.“ Ein:e gute:r Ansprechpartner:in für ein erstes Gespräch sei der/die Promotionsbeauftragte der Fakultät, empfiehlt Dr. Monique Ritter. Außerdem rät Prof. Dr. Vera Taube zum Besuchen von Informationsveranstaltungen: „Je mehr Informationen man kriegt, desto klarer wird langsam aber sicher das Verständnis vom Thema Promotion.“ Im Rahmen von Kolloquien, Informationsveranstaltungen und Sommer Schools könne man die Fragen stellen, die sonst kaum im Detail beantwortet würden.

Promovieren ist ein Akt des Selbstständig Seins

Nebenbei sollte man sich unbedingt bereits mit dem Stand der Forschung beschäftigen, sowie mit der eigenen Themenidee und Fragestellung auseinandersetzen. „Ich brauche ein Thema, an dem ich arbeite. Sonst kann ich auch niemanden finden, der das Thema gut findet. Nicht sagen ‚Ich will promovieren, gib mir jemand mal ein Thema, dann mach ich das’, sondern das lebt und stirbt damit, dass man selber eine Idee hat. Promovieren ist ein Akt des Selbstständig Seins. Man ist unglaublich abhängig und ständig angewiesen auf andere Leute, gleichzeitig muss man immer alles eigen- und selbstständig entscheiden und machen“, stellt Prof. Dr. Vera Taube klar. Gedankenanstöße, um das eigene Forschungsinteresse zu finden und zu präzisieren, böten ein Rahmenthema eines Promotionskollegs oder auch entsprechende Workshops.

„Fanstalking mit den besten Intentionen“

„Der nächste Schritt wäre zu lesen und sich mit dem Stand der Literatur vertraut zu machen und zu beginnen, ein Exposé zu verfassen“, fügt Dr. Monique Ritter hinzu. Das Exposé sollte sich im besten Fall direkt auf Professor:innen beziehen, die sich mit dem angestrebten Thema beschäftigten. Bei der Wahl des/der Betreuer:in müsse natürlich auch die örtliche Komponente beachtet werden. Man wisse allerdings nie so genau, auf wen man sich einlasse. Um eine nicht funktionierende Konstellation zu vermeiden, rät Prof. Dr. Vera Taube: „Man geht auf Konferenzen, spricht die Person vielleicht mal an, liest etwas von ihr, guckt sich Podiumsdiskussionen an. Das ist ein bisschen wie Fanstalking, aber natürlich mit den besten Intentionen.“

Seltener gehe auch mal der oder die Professor:in auf angehende Doktorand:innen selber zu. So war es beispielsweise bei Prof. Dr. Vera Taube. Nichtsdestotrotz hatte auch sie das klassische Vorgespräch und schrieb ein Exposé, das durch die Prüfungskommission der Wunschuniversität angenommen wurde.

Promovieren im Ausland – Möglichkeit in der Sozialen Arbeit

Besonders bei ihr war außerdem, dass sie im Ausland promovierte: „Ich bin nach Finnland gegangen. Dort gibt es Soziale Arbeit an der Uni. Allerdings wurde ich auch dort nicht als ‚Sozialarbeiterin’ promoviert, sondern als ‚Doktor der Sozialwissenschaften’ (Dr. rer. soc.). Einen Doktor der Sozialen Arbeit gibt es auch im Ausland nicht.“

Eine Promotion im Ausland kann sich trotzdem rentieren. Zu den strategischen Zielen von Hochschulen gehört in der Regel auch die Internationalisierung. Um diese zu erfüllen, treten die Einrichtungen häufig sogar aktiv mit Stellenanzeigen für internationale Promovierende nach außen. Dieses Verfahren könne laut Prof. Dr. Vera Taube viele Vorteile für Zugang und Vernetzung bringen, werfe aber gleichzeitig Fragen nach der Infrastruktur an ausländischen Universitäten wie Studiengebühren, der Betreuungssituation und der Entscheidung für einen längeren Auslandsaufenthalt ohne Möglichkeiten, ein Netzwerk im Heimatland aufzubauen, auf.

Promovieren im Ausland - Eine der vielen Möglichkeiten in der Sozialen Arbeit
Promovieren im Ausland – Eine der vielen Möglichkeiten in der Sozialen Arbeit

Da es eine Promotion in der Sozialen Arbeit direkt nicht gibt, lässt sich eher schwer sagen, wie viele Studierende generell nach einem Studium der Sozialen Arbeit tatsächlich promovieren. In der Soziologie schrieben laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2021 insgesamt 3.029 Promovierende an Universitäten und Hochschulen ihre Doktorarbeit, 1.690 davon waren weiblich. Die Psychologie war mit insgesamt 3.754 Promotionen im Jahr 2021 etwas beliebter. Noch mehr abgegebene Dissertationen im Jahr 2021 verzeichnen die Erziehungswissenschaften mit 3.895 insgesamt, von denen 2.701 von weibliche Doktorandinnen verfasst wurden. Diese Zahlen umfassen allerdings ebenfalls Studierende, die diese Fächer bereits im Bachelor und/oder Master studiert haben.

Promovieren ist bei Studierenden an Hochschulen generell nicht ganz so verbreitet wie bei Studierenden an Universitäten: „Mein Eindruck ist, dass an Universitäten grundsätzlich mehr Menschen promovieren. HAWs sind handlungspraktischer und anwendungsorientierter ausgerichtet. Viele gehen ja an die HAW mit dem Gedanken, nachher in die Praxis zu gehen. Der Gedanke der Promotion, den man möglicherweise als Dozierende im Verlauf des Studiums an angehende Sozialarbeiter:innen heranträgt, ist häufig ein komplett neuer – Ein Gedanke, mit dem sich viele dann erst auseinandersetzen“, betont Dr. Monique Ritter. Prof. Dr. Vera Taube ergänzt: „Es ist auch gar nicht so dringend, dass ich unbedingt promovieren muss, um mich in meiner Profession sinnvoll einsetzen zu können.“

„Ich verstehe alle Sprachen. Ich kann vermitteln“, Prof. Dr. Vera Taube über die Promotion in der Sozialen Arbeit

Dass sich die Promotion in der Sozialen Arbeit aber trotz der vielen Hürden lohnt, finden beide: „Wir bilden unsere Studierenden anders aus“, begründet Prof. Dr. Vera Taube. „Die Soziale Arbeit ist nicht nur die Pädagogik, aber auch nicht nur dieses Almosenwesen. Es ist irgendwie etwas dazwischen. Dieses dialogische und partizipative Arbeiten, was es bedeutet, eine Lösung kooperativ, dialogisch, partizipativ und kontextsensitiv zu entwickeln, kann mir keine andere Disziplin erklären außer der Sozialen Arbeit. “

Ihr selbst wurde das Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen im Studiengang der Sozialen Arbeit als negativ ausgelegt. Aufgrund der vielschichtigen Ausbildung in der Sozialen Arbeit hätten die Studierenden nur ein bisschen Ahnung von Medizin und nur ein bisschen Ahnung von Psychologie. Sie hingegen begreift das transdisziplinäre Arbeiten als immensen Vorteil: „Ich verstehe alle Sprachen. Wenn ich an einer Hilfeplansitzung teilnehme, bei der verschiedene Professor:innen sitzen, verstehe ich sehr viel. Meine Adressat:innen vielleicht nicht und der/die Mediziner:in oder Lehrer:in auch nicht. Aber ich verstehe sie alle, ich kann vermitteln, ich bin quasi die Verteilerposition. Das ist eine hoch anspruchsvolle Zielsetzung für so ein Studium und es braucht Leute, die das vermitteln können.“ Es komme oft der Vorwurf, Sozialarbeiter:innen wären in Teildisziplinen nicht kompetent genug, da sie so breit aufgestellt seien. Die Soziale Arbeit mache aber stattdessen ersichtlich, wie viele Perspektiven es auf den Menschen tatsächlich brauche, komplettiert Dr. Monique Ritter.

oziale Arbeit ist ein Zusammenspiel aus vielen Disziplinen
Soziale Arbeit ist ein Zusammenspiel aus vielen Disziplinen

Ihre eigene Praxis habe sich durch den Master und die Promotion extrem verbessert: „Ich kriege den Theorie-Praxis-Transfer viel besser hin“, berichtet Prof. Dr. Vera Taube. Die Praxis funktioniere nur auf der Basis von Theorie, gleichzeitig fehle Theorie ohne Praxis ein wichtiger Aspekt. Das Einüben von Theorie-Praxis-Transfer fehle an den Hochschulen häufig und sei ein wichtiger Punkt professionellen Handelns.

Dr. Monique Ritter sieht eine Promotion auch für die Professionsentwicklung als essenziell an: „Der Transfer der Forschungsergebnisse ist eine unglaubliche Bereicherung für die Lehre und dann letztendlich auch für die Praxis.“ Ohne eigene Wissenschaftler:innen stünde nur fremdes Wissen zur Verfügung. Es sei wichtig, dass jede Disziplin ihre eigenen Wissenschaftler:innen hervorbringe, findet sie. Aber auch auf persönlicher Ebene habe sie die vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Thema weitergebracht: „Die Promotion hat mir sehr viel Weitsicht und ein anderes Verständnis auf Zusammenhänge im Alltag und die Welt gebracht. Es gibt auch einen persönlichen Profit.“ Auch Prof. Dr. Vera Taube empfand die Zeit der Doktorarbeit als eine „riesen Selbstfindungsphase“.

Der Doktortitel helfe darüber hinaus hochschul- oder disziplinpolitische Angelegenheiten ins Rollen zu bringen: „Wenn ich wohin gehe, dann bin ich die Professorin. Wenn ich etwas sage, dann ist das mehr wert, als wenn ich das als Master oder als Bachelor sage. Das ist so ein Machtding. Je mehr wichtige Titel wir haben, desto wichtiger sehen wir aus. Das ist zwar albern, aber so läuft die Welt und das ist für die Disziplinentwicklung hilfreich.“

Wissenschaft oder Praxis? – Beides ist möglich mit einer Promotion in der Sozialen Arbeit

Nichtsdestotrotz sollte eine Entscheidung für eine Promotion bewusst getroffen werden: „Promovieren heißt Überstunden schieben ohne Ende. Promovieren heißt durch endlos lange Terrorstrecken zu gehen, in denen man sich permanent selber in Zweifel zieht. Das hängt mit der Familienplanung zusammen, das hängt mit Örtlichkeiten zusammen, das hängt mit befristeten und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen und teilweise mit Arbeitslosigkeit zusammen“, gibt Prof. Dr. Vera Taube zu Bedenken. Deswegen sei ein gutes Netzwerk für das Erhalten von Tipps, Informationen und Gedanken anderer unumgänglich. Prof. Dr. Vera Taube sieht die Promotion als Prozess, der es Schritt für Schritt angegangen werden müsse. Besinnt man sich auf die einzelnen Schritte, sind die Hürden einfacher zu nehmen.

Ist die Doktorarbeit abgegeben, wird der wissenschaftliche Karriereweg in der Sozialen Arbeit nicht unbedingt geebneter. „Wir haben noch keine große Mittelbaukultur. Postdoc-Stellen, die sowieso meistens nur projektorientiert und dementsprechend befristet sind, haben wir nur wenige. Da stecken die HAWs (Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Anm. d. Red.) noch in den Kinderschuhen“, bemängelt Prof. Dr. Vera Taube. Die einzige dauerhafte Anstellung als Wissenschaftler:in sei laut Dr. Monique Ritter häufig nur die Professur. Die Konkurrenz dafür sei allerdings groß und es sei ganz und gar nicht selbstverständlich, dass man als promovierte:r Sozialarbeiter:in auf einer Professur und damit letztlich auf einer gesicherten Position in der Wissenschaft lande, gibt sie zu bedenken. Die Schwierigkeit, eine dauerhafte Stelle im Wissenschaftsbereich zu erhalten, sei nach Dr. Monique Ritter aber kein Einzelphänomen der Sozialen Arbeit, sondern ein generelles Wissenschaftsproblem. Promovierte Sozialarbeiter:innen hätten aber generell schon ganz gute Chancen, da sie sich dank ihres breiten Wissensspektrums auf viele Professuren bewerben könnten. „Im Moment ist die Situation, eine Professur zu kriegen, gut, vor allem, wenn man örtlich flexibel ist“, resümiert Prof. Dr. Vera Taube.

Mit einer Promotion in der Sozialen Arbeit ist auch eine Karriere in der Praxis möglich
Mit einer Promotion in der Sozialen Arbeit ist auch eine Karriere in der Praxis möglich

Wer sich für den Weg in die Praxis entscheidet, hat allerdings nicht unbedingt weniger zu kämpfen: „Die Praxis schlägt nicht unbedingt die Hände vor Freude zusammen, wenn promovierte Sozialarbeitende kommen“, räumt Dr. Monique Ritter ein. Das Gehalt sei erstens nicht entsprechend und zweitens würde man mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnet. „Man hört dann im Team schon mal ‚Ob die das noch hinkriegt, mit dem Kind Fußball zu spielen am Spielplatz?’ Das Gute ist, dass, wenn ein:e Sozialarbeiter:in promoviert, kann er/ sie ja im besten Fall schon auch ein bisschen Praxis vorweisen. Meine Praxis ist, wie gesagt, jetzt viel besser und ich kann immer noch sehr gut mit Kindern im Matsch rumkugeln, ohne, dass ich das jetzt irgendwie unter meiner Würde finde. Und, wenn man das im Team hinkriegt, dann hätte man eine dauerhafte Stelle in der Sozialen Arbeit, die aber nichts mit Wissenschaft zu tun hat“, hält Prof. Dr. Vera Taube dafür. Mit einem Doktortitel in Verbindung mit einschlägiger Berufspraxis sei man bestens qualifiziert, eine Einrichtung zu leiten und diese auf politischer Ebene zu vertreten. „Es könnte schon sein, dass, wenn es jetzt mehr Doktor:innen gibt, es da vielleicht auch bald mehr Doktor:innen in der Praxis der Sozialen Arbeit gibt, die dann die Führungs-Führungs-Führungseben einnehmen“, schlussfolgert Prof. Dr. Vera Taube.

Als promovierte:r Sozialarbeiter:in in eine adäquate Position zu gelangen, „ist letztendlich keine einfache beziehungsweise selbstverständliche Angelegenheit“, resümiert Dr. Monique Ritter. „Promovieren zahlt sich vor allem dann aus, wenn man auf eine Professur aus ist“, schließt Prof. Dr. Vera Taube.

Gehalt in der Sozialen Arbeit

Entscheiden sie sich für den Weg in die Wissenschaft, werden Beschäftigte an Universitäten und HAWs nach Entgeltgruppe und Erfahrungsstufe bezahlt. Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen können gemäß Academics in der Entgeltgruppe E13 mit 4.188,38 EUR brutto (Erfahrungsstufe 1 entsprechend Berufseinsteiger:innen) bis 6.037,38 EUR brutto (Erfahrungsstufe 6, entsprechend 15 Jahren Berufserfahrung), in der Entgeltgruppe 15 mit 5.017,31 EUR brutto (Erfahrungsstufe 1) bis 7.042,26 EUR brutto (Erfahrungsstufe 6) rechnen. An Hochschulen werden in der Regel allerdings vornehmlich Teilzeitstellen vergeben, welche entsprechend weniger vergütet werden.

Sozialarbeiter:innen in der Praxis verdienen laut Stepstone mit bis zu drei Jahren Berufserfahrung im Jahr  durchschnittlich 41.600 EUR brutto. Nach drei bis sechs Jahren im Berufsleben können im Durchschnitt 48.520 EUR brutto erwartet werden. Nach sieben bis neun Jahren beläuft sich das durchschnittliche Bruttojahresgehalt auf 49.427 EUR. Ab neun Jahren steigt es auf 52.069 EUR im Durchschnitt.

Das Einkommen unterscheidet sich darüber hinaus nach Bundesland. Hessen liegt mit durchschnittlich 53.547 EUR brutto pro Jahr vorne. In Mecklenburg-Vorpommern stehen nur 44.268 EUR brutto auf der Jahresendabrechnung.

„Es gibt unzählige Nebenschauplätze“ – Tipps für zukünftige Doktorand:innen

Angehenden Doktorand:innen rät Prof. Dr. Vera Taube: „Promovieren ist ein Prozess, bei dem unglaublich viele Dinge bedacht werden müssen. Überleg’s dir gut und nimm dir Zeit für Entscheidungen.“ Monique Ritter verweist darauf, dass es ein entscheidender Schritt sein könne, sich frühzeitig dem Wissenschaftssystem zu nähern: „Im Master kann es zum Beispiel ein erster Schritt sein, eine WHK- oder SHK-Stelle (wissenschaftliche oder studentische Hilfskraftstelle, Anm. d. Red.) bei forschungsstarken Professor:innen anzunehmen. Da bekommt man schon viel mehr mit ‚Was machen Wissenschaftler:innen eigentlich so?’ Man sollte auf Tagungen gehen, sich an ‚Call for Papers’ beteiligen. Bei einer Promotion schreibt man nicht nur ein Buch, sondern es gibt unzählige Nebenschauplätze. Man kann sich auch einfach im Masterstudiengang schon mal ein halbes Jahr lang in ein Promotionskolloquium der eigenen Fakultät mit reinsetzen und schon mal horchen, was die dort so umtreibt. Ist das was, mit dem ich mich identifiziere?“

 

 

Dieses Interview führte Redakteurin Julia Brechtelsbauer am 01.09.2023.

 

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